Warum sich interessieren? Meine Erfahrungen mit der Langeweile

Joseph Ducreux (French - Self-Portrait, Yawning - Google Art Project

Persönlicher Einschub zum Problem des Interesses

Vor vielen Jahren hatte ich eine interessante Diskussion mit dem Programmchef von Arte bei einer Premierenfeier in Leipzig. Ich fragte ihn, warum Arte stets bereits bekannte Dinge zeige und nicht innovativ nach vorne gehe. Er führte aus: Zwar sei das Medium Fernsehen ein Breitenmedium, aber das Problem liege noch tiefer verborgen. Menschen würden sich so im Fernsehen vor allem für das interessieren für das sie sich schon interessierten.

Ich erinnerte mich: In einer Vorlesung in Halle saß ich so bei Harald Seubert, der überraschend eine Professorin für Theologie aus Polen einband. Ich freute mich keineswegs, denn über die gesamte Sitzung hinweg, langweilte ich mich zu Tode. Sie erzählte vom Protestantismus in einem katholischen Land in einer piepsigen Stimme und überzog gnadenlos. Niemand traute sich aufzustehen und als sie ihr Programm beendet hatte und sie allen Ernstes eine Fragerunde eröffnete, dachte ich nur innerlich: „Du dummes Ding, wer sollte sich denn in einem Philososphiekurs für deine piepsige Stimme und dein langweiliges Thema über Protestantismus in Polen interessieren?“ Gott hatte keine Gnade mit mir und schon fragte eine Studentin der Professorin Löcher in den Bauch, was meine Qual nochmals um eine halbe Stunde verlängerte. Warum aber konnte sich jemand für die langweiligste Sache der Welt interessieren?

So ging ich in meinen ersten Semestern in die Vorlesungen von Prof. Dr. Kovtyk, einem alten Professor, der immer noch nervös war, wenn er vor mehr als drei Leuten sprechen sollte. Nur ganz wenige hörten ihm zu. Stets schaltete er den Overheadprojektor (in Halle den Polylux) an und ließ sich die gesamte Sitzung von dem grellen Licht in die Augen scheinen. Dabei hantierte er nervös mit seinem Zeigestock, schraubte ihn zusammen und auseinander. Seine Folien mussten immer mit von seiner Stirn abgeschrieben werden und oft musste ich schmunzeln, wenn zum Beispiel auf seiner Stirn Seelengärtchen geschrieben stand. Ich bot jeden Montag um 17:45 Uhr meine volle Konzentration auf, um ihm zu folgen. Versuchte seinen Humor nachzuvollziehen. Am Ende des Semesters als wir in einer Schlange standen, um unseren Schein zu bekommen, nahm er sich meinen Schein und schaute genau hinauf. „So, so Herr Schultz“, sagte er. „Es war mir eine Ehre Sie in meiner Vorlesung gehabt zu haben.“ Ich war verlegen und sagte, man tue, was man könne, doch er erwiderte „Nein, dieses Semester hat mir sehr viel Spaß gemacht, da ich bemerkte, dass bei ihnen Reaktionen kommen und sie mit dem Stoff mitgehen.“

Warum erzähle ich dies? Ich hatte meine Lektionen gelernt. Wenn ich vor den langweiligen Stoffen von Hegel oder anderen Philosophen sitze, so hole ich das Interessante aus meiner Konzentration. Konzentration ist aber nicht anderes als seinen Verstand arbeiten zu lassen. Da die Welt häufig redundant funktioniert, aktivieren wir unseren Verstand recht selten.

Das heißt nun nicht, dass ihr überall mit höchster Konzentration den Tag verbringen müsste. Bei vielen Laber-Professoren schäme ich mich nicht mehr ein Nickerchen zu machen. Aus so mancher Redundanz des Alltags lässt sich kein Material zum Denken ziehen. Dafür ist mir meine Zeit zu kostbar. Vorlesungen kann ich übrigens aus dem Grund überhaupt nicht empfehlen. Zumeist kriechen die Professoren durch ihr Fachgebiet ohne es jemals mit interessanten Fragestellungen zu würzen.

Und dennoch frage ich mich häufig, warum ich mich für eine bestimmte Sache interessiere und für andere nicht. Demzufolge versuche ich mich für alles zu interessieren und ich denke dafür ist unser Verstand geschaffen. Wir können für alles offen sein und allein aufgrund des Interesses können wir uns gleichsam für Musik, Kunst, Philosophie, Physik oder gar für Mathematik interessieren. Wir sollten es sogar.

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Argumente für Homöopathie

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Konditionierung auf Medikamente, dies machen "sanfte" Mütter mit Homöopathie By Jorge Royan (Own work) CC-BY-SA-3.0

Höomopathie ist mittlerweile zu einer ganzen Industrie angewachsen. Hier ein paar Argumente für Homöopathie:

Argument: „Warum muss man etwas bekämpfen, dass offensichtlich nicht wirkt?“

Gegenargument: Weil Menschen, die vielfältigen Placeboeffekte nicht auseinander halten können. So hat unser Körper ein enormes Selbstheilungspotenzial und die meisten Krankheiten werden besser mit der Zeit, nimmt man ein Mittel in dieser Zeit, so schreibt man den Effekt dem Mittel zu.

Argument: „Auch wenn es nur der Placeboeffekt ist, Hauptsache es wirkt.“

Gegenargument: Der Placeboeffekt beschreibt nicht notwendig den Suggestionseffekt. Der Placeboeffekt beschreibt alle Ergebnisse in der Kontrollgruppe einer Doppel-Blind-Studie, die nicht durch die gemessenen Parameter erklärt werden können. Dies können zufällige Schwankungen sein, wie zum Beispiel die Selbstheilungskraft des Körpers. Die Ausmaße der Abweichung sind dabei in der Regel sehr gering. Schauen wir uns diese Studien an, so ist klar, dass Homöopathie keine Wirkung hat. Stattdessen verschreiben einige „ganzheitliche“ Ärzte Homöopathie bei Malerie, AIDS und anderen Erkrankungen. Wenn es zudem nur auf den Suggestionseffekt für Kinder geht, so empfehle ich, auf die vielen harmlosen Hausmittel zurückzugreifen.

Argument: „Die traditionelle Medizin arbeitet nicht ganzheitlich, deswegen müssen wir auf ganzheitliche Homöopathen zurückgreifen.“

Gegenargument: Es gibt Ärzte, die nicht ganzheitlich arbeiten und dabei auf wissenschaftliche Ergebnisse vertrauen, ohne dabei selbst wissenschaftlich zu sein. Die Tatsache aber, dass einige oder viele Ärzte nicht vernünftig arbeiten, heißt nicht, dass Homöopathen richtig arbeiten. Die Wissenschaft vom Ganzen ist im Übrigen die Philosophie. Während die Einzelwissenschaften nur partikular beobachten, systematisiert die Philosophie diese Erkenntnisse. Aus dieser Perspektive ist es sehr fragwürdig, ob Homöopathen ganzheitlich arbeiten. Auf der anderen Seite haben Homöopathen gute Beziehungen zu Patienten, dieses führt zu besseren Erfolgen bei der Behandlung, warum aber müssen Homöopathen dann homöopathische Mittel verschreiben? Es gäbe genug natürliche Substanzen, die durch neuere Studien ausprobiert werden können.

Argument: „Wir haben aber so durchschlagende Erfolge.“

Gegenargumente: Wissenschaftliche Studien können dies nicht bestätigen. Einzelbeobachtungen können eine Vielzahl von Ursache haben, wenn wir Wissen durch Einzelbeobachtungen zulassen, so ist dies eben nicht ganzheitlich, sondern wird auch dazu führen, dass wir Hähnchenschenkel um den Hals wickeln, weil der Patient anschließend gesund wurde. Unstrittig ist, dass Körper sich selbst heilen. Ob es sich um Selbstheilung oder um die Wirkung eines Medikaments handelt kann nur in großangelegten Studien überprüft werden.

Argument: Die Pharmaindustrie fälscht Beweise.

Gegenargument: Es gibt Pharmaunternehmen, die Beweise fälschen. Bei der Vielfalt der Studien zur Homöopathie ist es aber fragwürdig, alles durch ein operierendes Kartell zu beschreiben. Es wäre schlichtweg zu teuer. Homöopathie im Gegensatz ist ein boomendes Geschäft, bei dem die Alternativindustrie gut verdient. Die Ablehnung von Studien kommt dieser Industrie zu Gute, denn Studien sind das einzige Mittel, um Wissen zu objektivieren. Nach Angaben des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller liegt der Gesamtumsatz 2011 liegt der Gesamtumsatz der Branche bei 400 Millionen Euro, weltweit zwei Milliarden Euro.

Zum Thema Ganzheitlichkeit stellt sich daher die Frage:

Wissen Sie, was Wissenschaft ist? Wissen Sie, was Wissen ist? Ja, dann werden Sie auch den Gehalt des folgenden Satzes verstehen:

„Wir brauchen keine Anekdoten, wir brauchen wissenschaftliche Studien.“

Hier ein sehr interessantes Video, dass ich empfehlen möchte, um sich kritisch zur Homöopathie zu informieren.

http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1&mode=play&obj=35076

Und nein, ich nehme kein Geld von der Pharmaindustrie und ziehe es auch vor keine Medikamente zu nehmen. Ich nehme vielleicht einmal im Jahr Kopfschmerztabletten und vielleicht zweimal etwas im Jahr um die Nase frei zu kriegen.

Hier gibt es noch ein weiteres Interview von mir mit Ulf Wanderer zu dem Thema: http://gesundheit-lernen.blogspot.com/2015/04/ulf-wanderer-zur-homoopathie-und-zu.html?spref=fb

 

 

Norman Schultz

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Mein Pittsburgh und der Zeitgeist – Novembernous 2014: Stimmen und Notizen von Eisleben und Harwey zu unbedeutenden Geschehnissen (Teil 1)

Pittsburgh Skyline

Zeitgeiststadt Pittsburgh, meine intellektuelle Wahlheimat... Foto by Robpinion (Own work) CC BY-SA 3.0

Romane müssen für mich mit der Traurigkeit von vergehenden Novembertagen beginnen. Mit ihnen zieht ein Gewittergemüt auf, ein Seelensturm, den es durchzuhalten gilt. Aus einer inneren Reflexionspower heraus erkennen diese traurigen Seelen den Verfall der Geschichte, die falsche Verwirblung im Machtspiel und irgendwann steht der Leser im Auge des Sturmes und versteht. November sind leise und historisch passiert in ihnen wenig, wie in allen Monaten eigentlich, aber geschichtlich passiert etwas in diesen Seelen. Es verschieben sich die Gletscher der Zeit durch die Seelen hindurch und sie, die Seelen, müssen hinaus, hinaus zur See, zu dem unruhigen Meer, zu dem unruhigen Meer, das die Unruhe in den Herzen zu aller erst bewegte. So beginnt Melville sein Buch Moby Dick in eben dieser Weise:

„Whenever it is a damp, drizzly November in my soul; […] then I account it to get to sea as soon I can.“

Dann genau dann zieht es die Männer zur See, sie fordern Geschichte, ein Abenteuer, eine Welt, für die es sich lohnt zu leben. Der November zieht ins Abenteuer und hier beginnen, diejenigen, die gerne Abenteurer wären, doch eigentlich feige sind, weil zuviel Reflexion ihr Herz beseelt. Während wir Glück zumeist einfach nur konsumieren, entsteht im nordisch, kalten Gemüt, bei diesen Menschen, die sich im Herbst zurückziehen und Leser werden, eine negative Verdopplung der Welt. Es geschieht hier die wirkliche Geschichte, weil die Welt eine Welt ist, an die wir uns erinnern sollen. Denn Geschichte, so heißt es auch bei Wikipedia, sind die Aspekte der Vergangenheit, die vom Menschen erinnert und gedeutet werden und im November beginnt eine Reflexion, die irgendwann am Neujahrstag ihr Finale haben soll. Geschichte ist eine äußere Welt von Innen heraus. Geschichte, das sind Romane, das ist unser Leben in Seinsmomenten innerlich abgelichtet, in die Gehirnschale gepresst und in Worten wiederum ausgedrückt. Problem ist nur, dass wir das für gewöhnlich selten tun, wenn wir glücklich sind. Geschichte entsteht am Unglück der Menschen.

Diesen Monat also spazierte – denn, was sollte ein November anderes hergeben? – ich mit John Harwey (Professor an verschiedenen Colleges hier) am Carnegy Museum (Pittsburgh) vorbei und als  Vin Diesel  ebenso wie eine verlorene Seele vorbeispazierte, fragten wir uns, ob dies für uns ein historischer Moment war.

2008-05-25 Pittsburgh 133 Oakland, Carnegie Museum of Art - Museumof Natural History (2671453205)

Carnegie war ein Multimilliadär, der irgendwann Amerika mit seinem Geld überschwemmte. Es ist amerikanische Tradition, nachdem die Arbeiter ausgebeutet waren, es in die Welt zurückzupusten (Foto von Allie_Caulfield from Germany CC-BY-2.0)

Hier in Pittsburgh also spazieren Stars über die Straßen, aber warum? Pittsburgh ist eine raue Stadt mit Geschichte und auch eine Stadt, durch die immer der Glamour des Reichtums hindurchwehte. Anfang des 19. Jahrhunderts lebten die reichsten Menschen der Welt in Pittsburgh und überschwemmten es mit Geld. Der Himmel in Pittsburgh verdunkelte sich im 20. Jahrhundert – vom Rauch der Stahlschmieden, die Geld brachten und Pittsburgh in eine doppelte Geselschaft spalteten – so wurde die raue Stahlschmiede bald zu einer Stadt mit Novembergeist umgeschmolzen. Gescheiterte Existenzen und Geld für Kultur rissen die Seelen in die Geschichte fort. Hier am Grunde der verlassenen Schicksale, in einem Schmelztiegel aus arm und reich entstand eine andere Geschichte. Männer wussten nicht wohin mit dieser Größe, suchten, ließen sich für den Vietnamkrieg rekrutieren, doch schufen unter dem rauen Arbeiterpathos eine verletzliche Seele, die genug Kraft zur Reflexion hatte. In Pittsburgh sollte fortan Geschichte sein.

Die Stahlvergangenheit gab Pittsburgh mehr Brücken als Venedig und mit der Anreicherung durch Geist wurde Pittsburgh das Zentrum der Gegenwartsphilosophie. Es wäre also falsch von Zufall zu sprechen, dass die fortschrittlichsten Ideen der Gegenwart in vielen Bereichen aus Pittsburgh kommen. Es passt, dass irgendwo hier eine Nachfahrin Hegels in einem Buchladen arbeitet und es ist als hätte der Weltgeist sich in Pittsburgh niedergelassen, um traurig zu sein und um trotz aller Geschichtlichkeit ein bodenständiges Leben zu führen.

Nicht nur Batman wurde in Pittsburgh gedreht, nicht nur Christina Aguilera kommt von hier, nicht nur dass die Pinguins und Steelers gewinnen die nationalen Meisterschaften, es ist auch nicht, dass Zombieamerika seine Ursprünge in Pittsburgh hat und die ersten Zombiefilme hier gedreht wurden (ich sehe Menschen aus Tarantinos Gemetzeln oftmals hier beim Einkaufen), Pittsburgh hat außerdem die Wahl zum  schlechtesten, amerikanischen Akzent gewonnen und ist laut Economist dennoch die most liveable City in den USA.

Nun aber John und ich spazierten durch den beeindruckenden Herbst Pittsburghs, durch den Shenley Park hinter Carnegie Mellon, durch den Herbst, der nirgendwo so „blüht“ wie her und neben der Frage, ob wir jemals so eiskaltcool wie Vin Diesel mit Schweißerbrille sein werden und warum die wildwachsende Haarkranzglatze außer Mode gekommen ist, überlegten John und ich, ob es im 19. Jahrhundert noch ein Jahr gab, ein einziges Jahr, in dem nichts Weltbewegendes geschah, ein Jahr, in dem die Geschichte einfach anhielt, der Weltgeist eine Pause machte.

Plato-raphael

Irgendwann kam Platons Haarkranzglatze einfach außer Mode und womöglich geschah das in einem November. Einschub Maja: "Ich weiß überhaupt nicht, was Männer haben, wenn sie eine Glatze bekommen. Ich würde einfach Vin Diesel werden."

Gleiches gilt jedoch auch für heute: Während die Medien uns heute mit angeblichen Nachrichtenbeben überwältigen, fragt sich, ob diese Dauereruption in der Medienlandschaft tatsächlich von Geschichte berichtet oder einfach nur Zeit kostet. Zumindest gilt es bei der modernen Geschichte, die angeblich wie ein Vulkan brodelt, als amoralisch, wenn man sein Interesse an Nachrichten verweigert. Für meinen Teil brauche ich schon längere Zeit nicht mehr das wärmende Medienlagerfeuer am Abend, für mich ist das keine Vulkanglut und ich brauche keine externe Wärme, um mich aktualisiert, ubgedated und demokratisch zu fühlen. Im Folgenden gibt es also Einblicke in meine, zugegeben idealisierten, Gesprächsnotizen und Einfügungen von Korrespondenzen aus dem November zu sehen. Aber vielleicht findet sich darin ein wenig Novembergeist aus Pittsburgh.

Was war also die historische Dimension eines kalten, traurigen Novembers?

John Harwey: Zumeist erscheint Geschichte nicht im Horizont unserer Medien. Diese veröffentlichen nur geschichtliches Fastfood. Der Todesschütze von Osama Bin Laden veröffentlichte so ungefragt seine Identität (Verweis hier). Ein kurzes Echo im Mediengebirge, aber die Tatsache das ein Mensch einen anderen tötet, ist nur relevant, weil es kommuniziert wird.

Abgesehen davon aber stellt dieser Moment tatsächlich eine historische Qualität dar. Auf der einen Seite, ist es ebenso unbedeutend wie ein Löwe, der seine Beute reißt, zugleich aber ist es die moralische, spezifisch-menschliche Frage nach Mord, die medial in den USA jedoch nicht diskutiert wird, was eher auf ein prämoralisches Stadium und ungeschichtliches Moment hindeutet. Stattdessen instrumentalisieren die Medien den Täter, um zu fragen, ob es legitim ist, geheime Informationen zu veröffentlichen und ob er nun um sein Leben fürchten muss, weil ihn die Terroristen ja kennen. Natürlich können wir den Helden nicht verurteilen, denn das Individuum wird hier medial gewichtet und verschwindet dann hinter der Schablone des Helden, die wiederum die Frage nach der Moral hier gänzlich verdeckt. Gesellschaften aber, die ihre Moralsysteme nicht in Frage stellen, haben keine Geschichte. Das geschichtliche Moment ist also, dass sich der Weltgeist hier gerade nicht zeigt.

Anmerkung Norman Schultz: Wie also ging es mit der Tötung von IHM zu? Nun, das können wir ganz nüchtern berichten:

Nach der Beschreibung des Todesschützen hatte sein LEADER, der Kopf des Tötungskommandos, bereits Osama Bin Laden verfehlt, so dass unser Held, von dem wir wie ein Homer berichten, mit einer Heldenrolle in den Raum hinein hechtete und den dreckigen Halunken, der sich auch noch hinter eine seiner Frauen versteckte, niederstreckte. Durch sein Nachtsichtgerät konnte er das Böse eindeutig identifizieren und mit einem präzisen Vollstreckungsschuss brachte er den Amerikanern die ersehnte Rache. Damit hatte der Todesschütze den Hinterbliebenen vom 11. September sein Versprechen eingelöst und gezeigt, dass die Amerikaner Gerechtigkeit besitzen. Gerechtigkeit als Waffe der Verletzten.

Norman Schultz: Die nackte Wirklichkeit der Zeit gibt es nicht. Das sind nur die erotischen bis pornographische Phantasien von Historikern und Bibelgläubigen. Unsere Wirklichkeit wird durch die mediale Schneiderei gut eingekleidet, bis zur Unkenntlichkeit modisch frisiert. Die Wahrheit ist, dass die Wahrheit, als Königin der Wissenschaft, in unserer Welt nicht nackt sein kann. Sie wäre vielleicht zu öde und langweilig oder aber immer relativ zu unserem gegenwärtigen Gerede. Die Wahrheit wäre nach der Moral von Tötung in einem Diskurs zu fragen, in einem Diskurs, in dem nichts als geklärt gilt, alles sich wenden. Wahrheit darf nicht aktual, sondern muss prozedural betrachtet werden (ich kann hierzu das Buch von meinem Professor aus Köln, Edmund Braun, empfehlen: Der Mensch vor seinem eigenen Anspruch). Doch die Öffentlichkeit fragt nach Helden, Rächern und Ruhm, nach dem Glanz des Momentes und nicht nach der gähnenden Langeweile und knarrenden Weite von Ewigkeiten, die sich in Diskursen als das fortwährende Spiel unserer Sinnsuche enthüllen.

John Harwey: Unser moralisches Mikroskop wird niemals die Stärke für tiefgreifende, moralische Fragen haben, die nämlich in die Ewigkeit der Unendlichkeit mäandern. Wir können nur verschwommene Ränder für den Zeitgeist sichtbar machen. Das Ewige entzieht sich der simplen Sichtbarkeit. Für die Medien ist dies untauglich. In der öffentlichen Meinung und dies gilt auch für Verschwöungstheorien sollen die Dinge konkret sein, Gesellschaften lassen sich aber nun mal nicht im Ganzen und in Detailschärfe zugleich deutlich machen, das kann nur die Dialektik, die im Diskurs unvereinbare Argumente durcheinanderwühlt, aufrüttelt und sensibilisiert. Die Gesellschaft ist kein Gegenstand, sie kann nicht einfach betrachtet werden, und zwar ist sie genauso kein Gegenstand wie Tische und Stühle keine Gegenstände sind. Die Gesellschaft muss dynamisch bleiben, so dynamisch wie die Wirklichkeit.


Norman Schultz: Ich weiß noch wie ich mich mit einem Standardphilosophen in Köln, definitiv kein Novembergeist, über den Linguistic Turn unterhielt und er mir vorhielt, dass er bei allem, was ich sage nur mit dem Kopf schütteln könne. Es war schlicht alles, was ich sagte für ihn falsch. Dabei sind dies genau die Positionen von Brandom, die ich vertrete, einem Philosophen, bei dem er dann doch gerne studieren wollte und der ja als großer Zeitgeist aus Pittsburgh gilt. Es ist etwas schwer für Menschen zu begreifen, dass der Großteil der Wissenschaft im Moment davon ausgeht, dass Objekte eher Resultate sind von der Art, wie wir die Welt begreifen, wie unser Gehirn operationalisiert und wie wir uns in Diskursen austauschen. Es sind nicht erst Objekte in der Welt und dann begreifen wir sie. Unser Zugriff auf die Realität muss daher anders rekonstruiert werden und da ist der Begriff „Objekt“ sehr schwammig.

John Harwey: Genauso ist ein weitere Punkt, dass Verbrechen soziale Entitäten sind, die eben keine Objekte sind. Verbrechen entstehen immer im Verborgenen von Gesellschaften und übersteigen unklare Grenzen. Viele von uns wandern in Grauzonen: Ist es zum Beispiel angemessen Tiere zu essen? Menschen, die ungeschichtlich argumentieren, kennen hier ein klares „Ja“, ganz einfach weil der Mensch für sie bereits feststeht und ein Raubtier sein muss. Für andere mag der Mensch noch nicht festgestellt sein und angesichts der Bedrohung durch künstliche Intelligenz, die Hawking nun sichtbar macht, ist es vielleicht auch Selbstschutz nach einer angemessenen Ethik für Beute zu fragen. Ist es angemessen Tiere zu essen? Wir sollten darüber länger diskutieren und nicht zum Alltag übergehen, dem gleichen Alltag, der uns andere Menschen ohne Gerichtsverfahren töten lässt. Alles, was nicht rational in Diskursen durchgekaut wird, müssen wir daher Irrationalismus nennen.

Die Amerikaner haben kein Instrument, um hinter ihrer Rache eine gesetzlose Tötung zu sehen, so wie wir wenig Argumente haben, die Moral von Tierrechten festzustellen. Weil also der Ursprung von Verbrechen im Verborgenen liegt, an einem blinden Fleck unseres Sichtfelds, haben viele dieser Verbrechen oft noch keinen, wirklichen Platz in uns, wir kennen einfach ihre Dimension nicht und wir wissen nicht, wie der Mensch sich vor dem Forum der Geschichte verantworten werden muss (ein Gedanke, den Plessner ja stark machte).

Norman Schultz: Unser analytische Blick ist verstellt durch konfuse Gefühle, die aus der Größe des ewigen Moments hervorströmen. Würden wir aber nur im Moment leben, so fände keine Geschichte statt und de facto gäbe es keine Geschichte. Geschichtslosigkeit ist Irrationalismus und die, die meinen wir sähen nur mit dem Herzen gut, diejenigen sehen nicht, das Herzhandlungen oftmals eben auch Spontantötungen sind. Nachrichten reduzieren Geschichte auf den Moment, er muss klar sektierbar und berichtbar sein. Aber das Herz muss aus der Gegenwart gehoben werden und sich dialektisch mit dem Verstand entwickeln. Das Tier das Geist hat, soll eins mit sich werden. Wegen des Irrationalismus aber ist es für die Amerikaner auch kein wirkliches Verbrechen sich spontan zu rächen. Spontane Rache ist ein ungeschichtlicher Moment, ein Augenblick, in dem etwas passiert und doch passiert nichts in der Geschichte. Rache ist eine schlichte Reaktion, die Gleichgewichte eines metaphysischen Kharmas herstellend darf. Ein gänzlich absurder Gedanke und der Weltgeist fällt zurück in ein animalisches Moment. Wenn hier in diesem November Geschichte geschah, dann war es nur ein Rückschritt, dass wir uns den Blick auf Wirklichkeiten verbauen. Wenn in diesem November Geschichte geschah, dann war es eher die Geschichte davon wie keine Geschichte geschah.

Alfred Eisleben (schriftlicher Kommentar zu diesen Notizen):

Geschichtlich sind es heute auch die ausbleibenden Entwicklungen und vielleicht ist das unsere Geschichte, die mein Freund Derrida im Hinblick auf die Demokratie als Autoimmunisierung erkannte (Der Verweis bezieht sich womöglich auf Derridas letztes Werk Rogues, zu Deutsch Schurken). Das heißt Systeme versuchen, einen Ewigkeitstatus zu erreichen, indem sie wirkliche Veränderung verhindern. Das Verborgene soll auch weiter im Verborgenen bleiben, damit alles so weiter gehen kann, wie bisher. Das ist die Tyrannei, die ja Platon schon am weitesten von der Wahrheit entfernt sah.

Norman Schultz (Anmerkung zur Notiz von Alfred Eisleben):

Die ausbleibende Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt ist mit Sicherheit eine solches Verfehlen. Sexualisierte Gewalt verschwindet hinter dem kindlichen Erinnerungsvermögen und kommt oftmals nicht zur Anzeige, daher haben wir auch keine Informationen über die Auswirkungen (unbeachtete Argumente, die ich verfasst habe, dazu hier bei netzwerkB). Verdrängung ist ein Element von unterdrückenden Gesellschaften.

Anmerkung Alfred Eisleben: Genauso soll die angestrebte Totalüberwachung der Menschheit eine Unvermeidlichkeit darstellen, doch die Wirklichkeit des Verbrechens bleibt immer im Verborgenen. Deswegen weiß niemand genau, wie politische Wirklichkeit wirkt. Totalüberwachung ist schlicht nicht möglich, weil wir nur begrenzte Verarbeitungskapazitäten haben, wir die Geschichte machen. Wir sollten uns nicht auf alle Details einlassen, sondern das Ganze der Moral besprechen. Deswegen ist es auch für die Medien schwierig, aus der Überkomplexitität in entsprechenden Abständen Skandale zu produzieren, weil es keine Skandale gibt, sondern nur sehr komplexe Sachverhalte. Für den Durchschnittskritiker aber gerät die Frage nach den Verantwortlichen zu einer Frage nach dunklen Verschwörern. Der Verschwörer aber ist nur ein Strohmann für die Unerklärlichkeiten, die sich aus super-komplexen Systemen ergeben. Früher nahmen wir dafür den Teufel an, heute sind es menschlich widerwärtige Seelen, die unter dem Deckmantel von Wirtschaftskartellen operieren sollen.

Als Resultat sind die entdeckten Skandale dann das, was weder wahr noch gänzlich falsch ist und was Aristoteles die Meinung nannte. So ist Schröder ein Genosse der Bosse und Merkel käuflich. Diese Meinungen sind gesprächstauglich, weil sie klar abgegrenzte Inhalte anbieten. Die Zeit aber wird meines Erachtens nicht bestimmt durch das, was Meinungen transportieren, sondern durch die komplexen Mechaniken, die Meinungen nicht repräsentieren können.

Anmerkung John Harwey hierzu: Da kommen die zwischenmenschlichen Tötungskommandos gelegener, denn offensichtlich hatte der Mörder Bin Ladens einem der Hinterbliebenen von September 11 versprochen, IHN zu töten. Es sind also nicht die Drohnen, die in afghanischen Teezeromonien einschlagen, die die Medien reizen. Dies ist aber nicht, weil die Medien dies wollen und Schattenmänner über ein Verdunklungsunternehmen verfügen, sondern weil die Medien genauso von der Dynamik des Geredes ergriffen sind. Jeder, der meint Klarheit ein für alle male produzieren zu können, gerät dabei in eine Sackgasse.

Aus allem gesagten ergibt sich aber, dass es nicht die Oberflächen sind, die von Bedeutung sind. Daher ist Guantanamo weiterhin das Ereignis, das dieses Jahr bestimmt. Es ist die Unmenschlichkeit die eher Kontinuität besitzt. Dieser Moment aber ist nicht direkt medientauglich, denn Unmeschlichkeit braucht seine Bestimmung am Ewigen. Es ist absehbar, dass das Thema im historischen Rückblick die Amerikaner als Friedensmacht herausfordern muss, aber dazu müssen wir erstmal die Geduld haben uns auf das Ewige einzulassen. Und wer hat die Geduld um sich ewig zu binden? Insofern sich das Ewige nicht als Event vermarkten lässt, gibt es wenig Berichtenswertes. Man stelle sich eine Sendung vor: Das Ewige – Live!

ENDE Teil 1

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Norman Schultz

Pittsburgh, November 2014

 

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Herta Müller – Atemschaukel (Kritik) Von Hunger und Menschlichkeit

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Herta Müllers Atemschaukel (Literaturnobelpreis 2009) ist ein Klagelied aus dem Hunger, aus einer Gefahr, die täglich wie hungriges Getier an einem nagt, aus einer Gefahr, die sich in die Seele wie ein hohles Nichts gräbt und wie ein beständiges, unverwindbares Gefühlstropfen den Seelenstein aushöhlt. Dieses Buch ist auch ein Bericht über die Verwandlungen der Menschlichkeit am Menschen zu dem, was er kausal ist, zu dem, was er sein muss, ein Metabolismus, ein Stoffwechsler und so heißt es bald:

„Wir sind das Gestell für den Hunger“

Der nach dem 2. Weltkrieg deportierte Leo soll als Rumänien-Deutscher in einem Arbeitslager der Russen für die Verbrechen der Deutschen Wiedergutmachung leisten. Unter widrigsten Bedingungen, verlausen die Gefangenen, dürsten nach Wasser, arbeiten bis auf Haut und Knochen und ihr Lebensfokus richtet sich weg von aller Kultur auf nur eines: Brot.

So erbärmlich sich das Leben der Protagonisten daher zeigt, so roh wie die Ungerechtigkeit in die Magenkuhle schlägt, so handlungsarm ist das Buch. Alle Handlungsstränge laufen in der Kargheit des hohlen Hungers zusammen und blühen paradox in poetischer Reflexion auf. Aus der Schaukel zwischen körperlichen Verlangen und der Frage nach innerer Gerechtigkeit entsteht die Poesie des Romans. Es ist die poetische Auseinandersetzung mit dem, was wir als Mechanismus sind:

„Ich wünschte die Herzschaufel wäre mein Werkzeug. Aber sie ist mein Herr. Das Werkzeug bin ich.“

Die Verspannung des menschlichen Lebens in das Kausalwerk einer Welt, dort wo der Hunger unkontrollierbar wütet, zeigt wie Freiheit an unserer Körperlichkeit verschwinden kann. Doch auch bei Herta Müller bleibt ein unverwechselbarer Rest an Poetik vom Menschen übrig. Hinter aller Effizienz, war es Kultur, die den Menschen überlebte und ihn in andere Zeiten trug.

Hunger als existentiales Thema in der Weltliteratur

Hunger ist gängiger Begleiter in der Weltliteratur. Auch Nobelpreisträger Knut Hamsun schreibt hierzu in seinem Roman Hunger:

„Ich hatte es ganz deutlich bemerkt, immer wenn ich längere Zeit hungerte, war es gleichsam, als rinne mein Gehirn langsam aus dem Kopf und als würde er leer. Das Haupt wurde leicht und abwesend, ich fühlte seine Schwere nicht mehr auf meinen Schultern, und ich hatte das Gefühl, dass meine Augen allzu weit geöffnet glotzten, wenn ich jemand ansah.“

In Hamsuns Roman Hunger strömt das Bewusstsein eines Mannes, der unter der psychischen Belastung der Leere, um ein Leben in Würde kämpft. Der Roman lehrt: Es mag sein, dass einige elegante Männer durch die Welt stock und steif spazieren. Der Stil aber zeigt sich nicht darin, dass einer sich einkleiden kann, wie es ihm mit unermesslichen finanziellen Möglichkeiten beliebt, sondern, dass er mit der Armut sich noch die entsprechende Würde zu geben weiß.

Auch bei Herta Müller vegetieren die Gefangenen an der Grenze ihrer Menschlichkeit. Ihr Brotgericht versucht hier die Gerechtigkeit im Kleinen aufrechtzuerhalten. Gleichmäßig verteilter Hunger ist gerecht. Abends dann tauschen die Gefangenen Brot, weil das Brot des anderen immer größer aussieht. Sie ertauschen mit dem ertauschten Brot oftmals neues Brot, denn immer sieht das Brot des Anderen größer aus. Sie tauschen solange, bis sie oftmals wieder mit dem ursprünglichen Bissen Brot dastehen. Als eines Tages dann einer der Mitgefangenen einem anderen sein erspartes Brot, das er unter dem Kopfkissen verwahrt, tagsüber wegisst, so wird er vom Brotgericht ohne Verhandlung blutig geschlagen.

Der Wahnsinn des Hungers

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Foto von Ave Maria Mõistlik CC-BY-3.0

Natürlich gilt das Gebot der Würde nicht absolut, denn wer aus fetten Jahren genährt, sollte hier urteilen können? Als am 20. November 1820 der Walfänger Essex von einem Pottwal gerammt wurde und schließlich sank, begannen die Matrosen, die sich auf kleinen Walfangbooten gerettet hatten, nach mehreren Wochen die ersten Toten zu verspeisen. Bald schon losten die halb verhungerten Seeleute aus, wer als nächstes getötet werden würde. Als sie schließlich von einem anderen Walfänger gerettet wurden, heißt es:

„[D]ie Haut mit Geschwüren übersät, nagten die Schiffbrüchigen mit hohlwangigen Gesichtern an den Knochen ihrer toten Kameraden. Selbst als schon die Retter herbeieilten, wollten sie nicht von ihrem grausigen Mahl lassen.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Essex_%28Walfangschiff%29)

Auch in „Schiffbruch mit Tiger“ stellt sich das Thema im Gewand eines Magischen Realismus dar. Bei Schiffbruch andere Menschen verspeisen? Stan Nadolny greift das Thema in Die Entdeckung der Langsamkeit auf, wo bei der Suche nach der Nordwestpassage eine Mannschaft verunglückt. Die Frage ist in jedem Werk immer wieder, ob wir unter Extrembedingungen des Hungers es doch noch mit der Moral halten können. Herta Müller aber geht in poetische Nähe zum Hunger und entdeckt, wo die Würde des Menschen existentiell gegen Ãœberleben eingetauscht wird:

Und wenn die letzte Freiheit des Menschen schwindet, die letzte Freiheit für etwas zu sein, dann holt der Hungerengel seine Opfer und gibt die Freiheit von ihm:

„Aber die ersten drei Toten im Lager sind:
Die taube Mitzi von zwei Waggons zerquetscht.
Die Kati Meyer im Zementturm verschüttet.
Die Irma Pfeifer im Mörtel erstickt.
[…]
Die Todesursache heißt bei jedem anders, aber mit ihr dabei war immer der Hunger. (89)

Der Hunerengel ist damit eine unbemerkte Grundbedingung des menschlichen Lebens, vom Leben selbst als Restriktion auferlegt. Wie ein fremdes Geschöpf, dass sich in den Eingeweiden ausbreitet und alle Gegenstände in Illusionen der Nahrung verwandelt. Doch da wo der Hungerengel nicht regiert, ist es die Sprache, die die Seele noch nährt und führt:
„Ich sage: Du betrügst mich mit meinem Fleisch. Es ist dir verfallen.

Aber ich bin nicht mein Fleisch.“ (87)

Poetik ist der unauslöschliche Rest des Menschen.

 

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Norman Schultz

Neubrandenburg 2014

 

Weitere Kritiken zu Herta Müllers Atemschaukel

http://www.tagesspiegel.de/kultur/herta-mueller-atemschaukel-roman-aus-dem-versunkenland/1582856.html

http://www.dieterwunderlich.de/Mueller_atemschaukel.htm

http://www.perlentaucher.de/buch/herta-mueller/atemschaukel.html

http://www.zeit.de/2009/35/L-B-Mueller-Contra

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Kultur als endliches Prinzip im unendlichen Prinzip der Natur: Interview mit Prof. Dr. Eisleben

Wise Old Man (5719871205)

Im Gespräch mit Alfred Eisleben: Picture by Helgi Halldórsson from Reykjavík, Iceland CC-BY-SA-2.0

Seit nunmehr 40 Jahren lebt der Deutsche Alfred Eisleben mit seiner Frau Adele Schümer in seinem freigewählten Exil in Island. Nach dem zweiten Weltkrieg hat es ihn aus Deutschland fortgetrieben. Als Winterprofessor an der Carlson University (Pittsburgh) hat er mir ein Interview zum Begriff Kultur gegeben.

Entgrenzen: Herr Prof. Eisleben, Sie haben gut 80 Jahre Geschichte bewusst erlebt, wie schätzen Sie die Leistungen der menschlichen Zivilisation in diesem Zeitabschnitt ein?

Eisleben: Kulturleistungen sind nach Aristoteles Umgestaltungen der Natur. Das heißt, wir implementieren in die Natur der Natur fremde Prinzipien, und das obwohl die Natur ein Prinzip der Bewegung in sich selbst enthält. Es ist eine gefährliche Operation am offenen Herzen. Wir wühlen in diesem lebendigen Leib der Natur herum. Schließlich geht es dahin, das Herz der Natur ein für alle Male austauschen zu wollen.

Entgrenzen: Wenn ich da kurz einhaken darf. Sie meinen also, Kultur ist ein Eindringling in die Natur?

Eisleben: In einem gewissen Sinne drängen wir in unbeherrschte Räume. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Kultur, dieses der Natur fremde Prinzip, dieses Herzstück kann doch aber die Natur nur nachahmen. Verstehen sie, auch wenn sie ein künstliches Herz einpflanzen, es muss doch die gleiche Struktur haben, andernfalls funktioniert das ganze nicht. Dieses künstliche Herz soll die Bewegungen, die in der Natur sind, imitieren und muss sie imitieren. Das bedeutet, die Kultur ist an sich kein eigenständiges Prinzip, sondern wie eben ein Herzstück in die Natur eingebettet. Für uns heißt das, wir leben nicht auf Wolken der Freiheit, sondern so weit wir auch über die vermeintlichen Grenzen der Natur hinaus träumen, wir stehen mit unseren Beinen in der Wirklichkeit. Wir sind Teil eines lebendigen Organismus, der wirklich leidet und sich freut, sich selbst verändert, aber stets doch nicht die endliche Einrahmung, diese Einklammerung in eine Naturgewalt übersteigt. Was sind also Kulturleistungen? Es sind Freuden- und Schmerzensschreie einer sich in Prinzipien entwickelnden und drängenden Natur. Ein ständiges Schlagen dieses einen Herzens ins uns, der Natur und allem was so unerkannt unser fremdes Sein durchwaltet. Weiterlesen

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Oktobernous: Hinter Ebola, Faschisten und der Nato-Verschwörung von dem schwachen Verbund der Gesellschaft

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Eines nachts irgendwo in Afrika steht ein Krankenwagenfahrer am Fenster seines Vehikels und beurteilt durch das Fenster hindurch den Zustand seiner Patientin. Sie übergibt sich, doch die Krankenhäuser sind voll, haben keine Kapazitäten mehr, die Ambulanz muss sie zurückbringen und der Krankenwagen wird danach desinfiziert.

Eine Krankheit schlägt wie das Schicksal in den Körper ein. Eine unbequeme Angst breitet sich in der Unsichtbarkeit aus; auf den Straßen liegen die Ebola-Toten, das Individuum in der Menge, die Menge ist aufgebracht (By Photo Credit: Content Providers(s): CDC/ Ethleen Lloyd [Public domain], via Wikimedia Commons).

Der Oktober erzählt von diesen Ängsten des Individuums, die sich in den Strömen der Massen materialisieren. Jene Angst materialisiert sich in Erzählungen und hat wenig Zeit auf die überkomplexe Wirklichkeit zu achten. Ebola ist nur einer von vielen Katalysatoren, die Bedrohungen hervorbringen. Hierzu gehören auch die Religionen, Faschisten und Kriege in der Ukraine. Alle sind nur zur Hälfte Wirklichkeit.

Irgendwo in Afrika stirbt eine 17-Jährige am nächsten Morgen zu Hause, allein. Sie wäre womöglich ohnehin gestorben. So verdirbt uns unser zynischer Verstand des Mitleid, aber dennoch sagt eine Stimme in uns: Sie starb allein.http://www.nytimes.com/video/world/africa/100000003161313/fighting-ebola-outbreak-street-by-street.html Weiterlesen

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Filmempfehlung „Edge of Tomorrow“

Wir motivieren uns ständig morgen ein besseres Leben zu führen. Im Alltag aber vaporisiert sich das neugegründete Selbstbewusstsein. Die beständige Reinkarnation des Besseren in uns, ist eine Art Unabhängigkeitserklärung an den Körper, aber doch fallen wir zurück hinter die fleischigen Gardinen einer vom Schweinehund dominierten Unterwelt. Tiny Habits so verspricht nun die Verhaltensforschung würde uns darüber hinaus bringen (Hier mein Artikel dazu).

Das Thema aber begegnet uns auch in Tom Cruise neuen Film „Edge of Tomorrow“. Aufgrund von Feigheit wird dort Major William Cage zum Fußsoldaten degradiert. Er wird in eine unausweichliche Schlacht gegen einen übermächtigen, außerirdischen Gegner hineingeschickt. [SPOILER: Dieser übermächtige Gegner kann die Zeit zurücksetzen, und ist dadurch eben im Kampf unbesiegbar]. Doch zunächst unerklärlich erlangt Cage eben diese Kräfte durch ein Siegfriedbad im Alienblut und findet sich nun im selben Tag immer und immer wieder. Doch obwohl er dabei nahezu unbesiegbar wird, seinen Tod kann er nicht verhindern.

Womöglich schafft es Cruise in diesem Film häufiger als Sean Bean zu sterben.

Nun Sean Bean ist ein lebendiger Spoiler, in jedem Film stirbt er seinen Helden. Weiterlesen

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Putin’s Zarbombe, sein Zarbewusstsein und der wirkungslose Impfstoff der Bildung

Meine Studenten fragten mich vor ca. 2 Wochen, wie ich die Situation in der Ukraine einschätzen würde. Ich antworte, dass das normative Gebot, die Freiheit sei, aber dass Entscheidungen die Frage des Politischen sind. Wir Philosophen brauchen vor allem Zeit.

Wenn zwei Menschen auf hoher See ertrinken und nur noch ein rettendes Holzbrett vor ihnen schwimmt, dann dürfen sie um den letzten Strohalm bis auf den Tod kämpfen. Wenn zwei Philosophen auf hoher See ertrinken und nur noch ein rettendes Holzbrett vor ihnen schwimmt, dann werden sie diskutieren, bis sie beide allein sterben. Kurz: Sie haben den falschen gefragt. Ich würde ihnen allerdings etwas Vernunft verkaufen, damit sie dann vielleicht Dinge etwas rationalisieren könnten. Weiterlesen

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Vom Wesen der Zahlen, optische Illusionen, Quantenphysik und Strukturalismus

So viele glauben noch das Zahlen real seien, doch diese Stücke sichtbarer Zeit sind für mich in ihrem Wesen unklar. Was heißt „Eins“, dieses Eine mit dem alles beginnt und das sich nirgendwo real findet, sondern immer nur am anderen ein Begrenztes ist? Wir beginnen mit Eins unsere Erfahrungen, sind Zahlen daher wirklich das Uhrwerk der Welt, kleine Zahnräder, die alles bewegen? Können wir mit dem Besteck ihrer Mathematik die Welt in mundgerechte Stücke zerschneiden, so dass auch ein endliches Gehirn etwas greifbares aus der Unendlichkeit heraus holt? Die Welt mit Zahlen auszuhöhlen, mit Zahlen zu verzahnen, zu mathematisieren, so als wäre alles nur der Mechanismus von Zahlenzahnrädern und das Vermächtnis der Zeit ein Ozean der Zahlen.

Aber hinter den Zahlen vermuten wir mehr und erwarten ein größeres Fundament. Lars Von Triers Zählen zeigt nicht die Endlichkeit des Ersten, sondern die Frage nach dem endlich unendlich. In seinem Film Europa entdeckt er die Mystik der Zahlen:

 

Checkershadow

By Edward H. Adelson (Own work) CC-BY-3.0 Wikimedia Commons

Optische Illusionen

Wie funktoniert also die Welt auf ihren quantifizierten Zahlenbahnen? Sind  Zahlen real oder sind sie nur Relationen? Die Welt habe doch auch eindeutige Eigenschaften, die eigentlich ohne Probleme bezeichnet werden können. Quantifizierende Zahlen benötigen deren atomare Qualität, die sie bezeichnen können. Doch schon bei dem Erlebnis der Farben zeigt sich, wie unser Gehirn diese nur relativ wiedergebt. Wir wissen bisheute nicht, ob wir elementar in die Welt hinab steigen sollen. So war Heisenberg mit seiner Weltformel ebenso überzeugt, dass die Welt nicht aus Atomen, kleinsten Teilchen, bestehen würde (Eine interessante Dokumentation findet sich hier: http://www.youtube.com/watch?v=w3YBCaInJYc)

Ein, wie Hegel es sagt, Beiherspielendes: Bei dem Bild links kann ich selbst niemals glauben, dass das Quadrat A und B angeblich die gleich Farbe haben. Es ist doch eine vollkommen verschiedene Qualität. A ist dunkel und B ist hell. Doch A und B sind identisch.

Ein anderes Beispiel findet sich bei Focus Online, bei welchem die Farbe Orange entweder tiefbraun erscheint oder eben als klares Orange.

Aus diesen Sinnestäuschungen leiten wir gewöhnlich die Thesen des Strukturalismus, wonach alles eben nur von den Beziehungen untereinander abhängig wäre und somit die Zahlen als Relationen Wirklichkeit wären, ohne jemals auf einen letzten Inhalt zu referieren. Aber worauf beziehen sich dann die Beziehungen? Was ist Relation ohne ein letztes Substrat? Weiterlesen

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Ãœber Feynman, seinen „niedrigen“ IQ, Neugier und warum Verstand weniger wichtig ist als Vernunft

RichardFeynman-PaineMansionWoods1984 copyrightTamikoThiel bw

Feynman, allgemein als Genie anerkannt Tamiko Thiel 1984 (OTRS communication from photographer) CC-BY-SA-3.0, wikicommons

Die Grundausstattung Richard Feynman’s war für den Nobelpreisgewinner überraschend niedrig. Den Mann aus Neugier, den Overachiever der Physik, das Quantengenie, der behauptete mittels Feynmantechnik jede Theorie begreifen zu können, diesen Mann schmückten gerade mal lächerliche 125 IQ-Punkte. Feynman war somit dümmer als 2 Prozent der deutschen Bevölkerung, lag damit hinter dem Otto-normal-Genie und qualifizierte sich somit nicht einmal für die Genie-untergrenze:

„In der Genieforschung wird ein IQ von 135 bzw. 140 als untere „Geniegrenze“ angesetzt. “ http://www.die-besten-nennen.de/sites/texte/text3.htm#Liste 2

Dennoch mit seinem „bescheidenen“ Vehikel konnte Feynman bis an den Rand gegenwärtiger Gedanken reisen. Ob also Sportwagen oder Kombi es ist nicht das Fahrzeug, das darüber entscheidet, ob wir ans Ziel gelangen. Es ist auch der Fahrer, der die Rechenpower richtig einsetzen muss. In diesem Artikel geht es daher der den Unterschied zwischen Verstand als dem bloßen Berechnen, und der Vernunft, wobei Vernunft die Fähigkeit bezeichnet, den Verstand in seinen Funktionen zu bewerten und richtig einzusetzen. Die Vernunft kann uns leiten. Hieraus ergibt sich dann auch der Unterschied zwischen einer instantan, messbaren Intelligenz und einer Intelligenz, die sich über einen Lebenszyklus erstreckt und damit angibt, wie wir unseren Intellekt denn genutzt haben. Damit widersprechen wir auch Eysencks These, dass hohe Intelligenz als Faktor für Höchstleistungen notwendig wäre. Beginnen wir die Erläuterung aber, warum gerade nicht der Verstand entscheidet, ob wir zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Dies tun wir am Beispiel der Unendlichkeit: Weiterlesen

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