Playstation4 und meine Dissertation, Männerstarren und Mindawareness: Märzbruchstücke

Unser Trivia-Erfolg, wir haben eine Playstation 4 gewonnen

Dissertationen verschlingen Zeit und verdauen langsam wie Schlangen. Irgendwo sind Großprojekte auch immer beständiger Planungsschmerz. Dennoch die große Linie ist schon an den Horizont geschrieben. Ich hoffe ich habe meine Dissertation nicht nur geträumt, aber mein Computer beherbergt 300 Seiten, was mich zu nächtlichen Panikattacken führt, ob noch alles da ist. Und wie lebt der Philosoph aus Amerika sein Leben? Nun wir haben bei Trivia eine Playstation 4 gewonnen.

 

1. Sich den kulturellen Gebräuchen weiter anpassen und bei American Trivias gewinnen

„March Madness“ bedeutet: die besten College-Basketballmannschaften im Land gegeneinander. K.O.-Modus. Überall versammeln sich die Amerikaner vor ihren Abspielgeräten. Die NBA ist jetzt auch in unserem Haus, allerdings in anderer Weise, denn die Playstation 4 bestimmt jetzt unser Freizeitverhalten (zuvor gewannen wir ja ein Hoverboard). Wir haben uns für die Konsole nun auch auch NBA 2014 gekauft (für 4 Dollar) und viele, die unser Haus betreten, glauben, dass wir tatsächlich Basketball im Fernsehen schauen. An den Nahaufnahmen ist zwar noch zu arbeiten, aber das Spiel sieht dann täuschend realistisch aus.

Mit all den Kommentaren und mit Ashok’s Basketball-Kenntnissen poliere ich nun mein nutzloses Wissen auch in diesem Bereich auf. Eigentlich wollte ich mir ja das Leben für die Zeit nach der Dissertation aufsparen.

http://pin.it/XmFZ9u3

2. Ansonsten lese ich über Deutschland

Reporterpreis in 5 Kategorien für die Die Zeit – „Die Schlachtordnung“ von Anne Kunze im Bereich „investigativ“.

Kunze zeichnet darin Gastarbeiterschicksale, die wie Geisterarmeen innerhalb des Marktgetriebes  der Fleischproduktions-industrie zerrieben werden:

„ein Prinzip: immer billiger […] eine Himmelsrichtung: Osten.“

Polen sei schon ausgeschöpft, die Arbeiter „zerschlissen“. Erst die Polen, dann die Ungarn, dann die Rumänen. „Jetzt die Bulgaren.“ heißt es in ihrem Artikel.

„Mittlerweile suchen Anwerber in der Ukraine nach Söldnern.“

In den Schlachtbetrieben bilden sich soziale Hierarchie nach Herkunft. Oben die Polen und Ungarn, unten die Sinti und Roma:

„Die anderen Arbeiter sagen über sie, sie ließen alles mit sich machen, könnten nicht lesen, nicht schreiben, schufteten für drei Euro in der Stunde.“

Aufs nackte Dasein reduziert leben einige als Waldmenschen und füllen Wasser aus Hähnen ab. Nehmen es mit in den Wald. Warum wehrt sich niemand? Bei Aufruhr werde die gesamte Stammbelegschaft ausgetauscht. Es gibt genug BilligArbeiter.

„ein gestandener Fleischermeister, weint während des Gesprächs, als er sich an die Demütigungen erinnert.“

Zudem: Jeder im Umkreis dieser Betriebe soll an der Geisterarmee verdienen. So bieten Hausfrauen verschiedene „Dienstleistungen“ an: Begleitung zum Arzt (50 Euro), Kindergeldanträge ausfüllen= 150 Euro. Auch Raumausstatter verdienen:

„Helmut Ebbrecht vermietet in Quakenbrück Wohnungen in zwei ehemaligen Kasernen, die seit 1933 nicht saniert wurden. 350 Euro im Monat nimmt er pro Wohnung. Weil die Fenster nicht dicht sind, stellen die Bewohner Heizkörper auf und haben Stromrechnungen von bis zu 140 Euro. Es stinkt. An den Wänden stockt der Schimmel. „Die Leute müssten halt lüften“, sagt Ebbrecht, „aber die haben natürlich andere Sauberkeitsstandards als wir.“

Die Behandlung der Arbeiter im Betrieb ist unter der Menschenwürde:

„Ein Mann, dem schon der Finger abfault, den der Vorarbeiter aber nicht zum Arzt lässt – weil der Kranke keine Krankenversicherung hat.“

Fleischermeister Schürmann beweist dabei die fehlende Empathie, die ihm sonst auch bei Tieren fehlt:

„Als ich meine Fleischerlehre gemacht habe, habe ich mir auch eine Matratze auf den Boden gelegt.“

Er fügt hinzu, dass er Christ sei, wenn auch nicht gläubig. Der Mindestlohn wird in den Betrieben leicht umgangen: Arbeiter zahlen für Kleidung, Arbeitsgerät und Reinigung. Dazu kommen allerdings dubiose Kosten für Miete und Transport.

Der Artikel ist wirklich lesenswert, weil er über unmögliche Zustände in Deutschland informiert:
Folge Normans Pinnwand „Critical Thinking – What has to be said in Pictures“ auf Pinterest.

3. Ich helfe moralische Konversationen zu organisieren, Stichwort: Man-gaze – Das Männergestarre

Ich mitorganisiere hier eine Reihe, die heißt „Moral Conversations“. Praktisch: die betreffende Minderheit versammelt sich und entfaltet einen Powerdiskurs auf Grundlage ihrer Ressentiments gegenüber der Mehrheit. Ja, das klingt sehr negativ, aber ich bin teilweise schockiert, wie dort mit den vermeintlichen Mehrheiten umgegangen wird.

Eine Studentin berichtete von einem Werbespot, in dem 5 Männer sich um 2 Bikinifrauen in einem Pool versammelten hatten. Sie betonte dann, dass die Männer nicht einfach nur geschaut hätten, sondern sie sagte mit abfälligem Ton „they had this man-gaze“. Nun habe ich schon vorm Spiegel geübt und ich frage mich, ob dieser Man-Gaze ontologisch in mir verwurzelt ist. Ich frage mich zudem, ob es auch einen Christ-Gaze oder Muslim-Gaze gibt. Bei diesen Vergleichen wird klar, dass es Männern auch missfällt, wenn ihr Dasein ontologisch auf eine brutal biologische Daseinsweise reduziert wird. Warum ist der Körper von Männern immer böse und bedeutet Gewalt? Bei Foucault ist dann dieser Gegendiskurs nichts anderes als ein Erwachen der Macht unter neuen Umständen. Kritik muss wohl auch schonend vorgetragen werden, insofern sie ein Diskurs werden soll, der nicht ein neues Machtzentrum installiert. Ansonsten finde ich solche Diskurse doch sinnvoll, warum ich sie auch helfe, zu organisieren. Dennoch Frauen akkumulieren Macht in den neuen, gesellschaftlich bestimmenden Diskursen.

4. Mindawareness-Fare

Auf einer Veranstaltung hier traf ich einen Anhänger, der sich als Anhänger von Techno Khan ausgab. Ich habe dabei an eine Kombination von Techno und …

…gedacht.

Nun ja, sein richtiger Name ist Tich Na Hanh. Er ist Vietnames und wurde 1964 von Martin Luther Kind für den Friedensnobelpreis nominiert. Sein engagierter Buddhismus zielt allerdings nicht darauf in erster Linie die Welt zu verändern. Sondern uns zu verändern. Als er zu einer Grenze in einem Kriegsgebiet reiste und nicht durchgelassen wurde, setzte er sich in der Nähe auf den Boden und trank Tee. Als ihn seine Anhänger fragten, was er damit nun tue, antwortete er, dass er den Krieg beende. „Wie das?“ fragten seine Anhänger erneut und er antwortete: „Ich beende den Krieg in mir selbst.“

Eine Klimawende bedeutet zunächst eine moralische Wende in uns. Eine andere Welt, muss zuerst eine Wende in uns bedeuten. Spiritualität ist in diesem Sinne der Weg, weil sie keine Gegenkraft oder Gegenmacht installiert, sondern mit der Masse des Guten, die Welt zum Maß nehmen bringt.

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Das war’s. Im Mai bin ich in Deutschland auf dem Hegelkongress, falls mich irgendwer gerne sehen möchte, dann schreibt mir bitte auf Facebook. Vielleicht passt es ja. Wenn ihr mir anderweitig folgen wollt, dann added mich doch bitte bei Facebook oder tretet der Facebookgruppe oder der Googleplus Gruppe oben rechts bei. Ein RSS-Feed ist natürlich auch vorhanden. Ansonsten könnt ihr mich gerne anschreiben oder einen konstruktiven (!) Kommentar hinterlassen.

Norman Schultz

Pittsburgh, Ende März 2016

 

 

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Blognotizen: Mensch gegen Maschine – Go und Deeplearning und ein paar andere Notizen

1. Notiz: Mensch gegen Maschine

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Alpha-Go schlug im Januar den europäischen Meister. Ein Überraschung. Vor einem Jahr wäre dies noch undenkbar gewesen. Nun wenige Monate später spielt AlphaGo gegen einen der stärksten, menschlichen Gegner. Lee Sedol besitzt den neunten Dan auf dem professionellen Level. Es gibt nur wenige, die das Spiel so sehr beherrschen wie er. Sedol kündigte im Vorfeld bereits an, dass er das Match klar für sich entscheiden würde und AlphaGo selbst um einen Punkt kämpfen müsste. Die Kommentaren, Michael Redmond, selbst 9-dan Professional und Chris Garlock, waren ähnlich überzeugt von der Stärke Sedols. Gestern die Überraschung: Während AlphaGo nur noch 5 Minuten auf der Uhr hat, positioniert Sedol, selbst die schwarzen Steine führend, einen weißen Stein merkwürdig auf dem Brett. Garlock und Redmond, noch in die Analyse vertieft, bemerken es nicht, doch Sedol hatte mit diesem Zug  aufgegeben. Nach einiger Verwirrung stellt Redmond verblüfft fest, Sedol hätte wohl resigniert, während Garlock antwortet, dass Sedol noch zu zählen scheine. Redmond bekräftig jedoch: Sedol hat aufgegeben. Mit einem Schlag war es Gewissheit und Redmond musste eingestehen: AlphaGo hat gewonnen, gefolgt von der Feststellung, dass nun wohl viele Siege folgen würden.

Heute, am zweiten Tag gestaltet sich das Spiel wesentlich langsamer und Sedol begegnet AlphaGo mit Respekt. Eine vorsichtige Spielweise, ein konservatives Spiel des Menschen. Der überraschende Punkt ist, dass AlphaGo ähnlich intuitiv spielt wie ein Mensch, nur besser. Dadurch, dass AlphaGo Deeplearning anwendet, ist es ein anderer Ansatz, der einen Durchbruch in der A.I.-Forschung darstellt. Ich habe mich dazu heute mit Michelle unterhalten, die hier bei Google arbeitet und selbst an der CMU (einer der großen Kaderschmieden für Computer-Scientists) studiert hat. Deeplearning würde nach ihr auf viele andere Prozesse noch nicht übertragbar sein. Vor allem bei Open-World-Problems würden sie bei Google tendentiel auf Deep-Learning-Ansätze verzichten oder zumindest sie nur zu sehr kleinen Teilen anwenden. Dennoch ist dies ein weiterer Durchbruch in der Entwicklung der A.I. So stellte Redmond heute in seiner Analyse fest, dass er den Stil von AlphaGo möge und davon womöglich noch viel lernen könne. Für jeden der dem Go-Spiel näher kommen möchte, dem sei diese japanische Anime-Serie „Hikaru No Go“ zu empfehlen. Natürlich etwas übertrieben (da wird man ja panisch), geht es darum, den besten Go-Move aller Zeiten zu finden.

Ergänzung: Nachdem zweiten Verlust erscheint es so als würde es ein kompletter Durchmarsch für das Go-Programm werden. Hinzu kommt, dass das Program eher sicher spielt und nicht auf viele Punkte setzt, so dass der Abstand zwischen Go und dem Profi unklar ist, aber wahrscheinlich wird es niemals mehr knapp zwischen Mensch und Go-Maschine werden.

2. Notiz zur Ernährung

Im Moment esse ich Sardinen. Aus nachhaltigem Fischfang in kaltgepressten Olivenöl. Eine gute Zwischenmahlzeit ohne viel Zeit für die Zubereitung zu verlieren. Ich kombiniere es mit meinen vorbereiteten, veganen Gemüselasagnen und ich wünschte diese Variante würde es als gut gewürzten Tofu geben, denn es spart mir viel Vorbereitungszeit.

3. Meine Fotografie

Ich habe mich mit Marwa (Tunesien) und Alexa (China) in Pittsburgh Downtown getroffen:

Pittsburgh

 

Ich komme nun besser mit der Feststelllinse klar und kann genauere Fotos machen. Vor allem bei meinen Schärfeeinstellungen mache ich nicht mehr so viele Fehler wie früher. Meine Kamera ist dabei eher „old-fashioned“:

4. Philosophische Notizen

Im Moment bearbeite ich Hegel für meine Dissertation und bin im Mai beim internationalen Hegelkongress in Deutschland. Mich interessiert dabei vor allem der Zusammenhang zwischen ewigen logischen Gesetzen und ihrer zeitlichen Feststellung, das heißt der Idee, dass Logik etwas Ewiges, vom Menschen Unabhängiges sei.

Ich verfolge jedoch weniger die konservative Interpretation, und glaube dass Logik zwar universal verstanden werden muss, die Kategorien dieser Logik aber durch Bewegung charakterisiert sind und deswegen nicht genau als unzeitlich festgestellt werden können.

Hegel betont hierzu in der Philosophie der Natur, dass die Logik einen diamantenen Kern darstellen könnte. Wobei meine These darauf zielt, dass dieser Diamant, die höchste Kompression von Gedanken sei, die wir bisher erreicht haben, aber deswegen nicht als unzerstörbar gelte. Denken und seine Kategorien sind die Höhepunkte unserer Zeit, wichtiger aber als ihr totes Skelett ist die Frage, ob sie sich in der Zeit realisieren lassen und wie sie sich realisieren.

Hierzu ist auch Hegels Geschichtsauffassung interessant, die ich der Einfachheit halber mit ein paar Notizen von Sparknotes darstelle:

http://www.sparknotes.com/philosophy/hegelphilhist/summary.html

Hegel unterscheidet in seinen Geschichtsvorlesungen 3 Arten von Geschichte:

1. die ursprüngliche Geschichte, geschrieben während ihrer Zeit

2. Reflektierte Geschichte: Nachdem die Geschichte bereits vergangen ist

3. Philosophische Geschichte, wobei a priori Gedanken genutzt werden, um Geschichte als rationalen Prozess zu verstehen

Wir wollen Geschichte nicht als zufällige Abfolge von Ereignissen verstehen, sondern sie nach einem inneren Plan charakterisieren. Wenn wir diese Art der Geschichtskonstruktion nicht verstehen, dann sind wir einer ungenauen Geschichtsschreibung hilflos ausgeliefert. Ich behaupte, dass unphilosophische Geschichtsschreibung auch zu Chemtrail-Theorien, Anti-Impf-Kampagnen, Auslandsverschwörungen und Antiamerikanismus führt. Letztlich ist es auch diese unreflektierte Geschichtsphilosophie, wonach die verlässlicheren Medien als Lügenpresse geschmäht werden und was letztlich den Erfolg von Programmen wie der AfD ebnet. Ich behaupte, dass jeder, der Pseudotheorien vertritt, auch für die politischen Konsequenzen verantwortlich ist. Aber das sind zunächst nur Thesen über die ich in der Zukunft nachdenken möchte. Für die philosophische Geschichtsschreibung müssen wir über den inneren Geist der Geschichte nachdenken. Dieser Geist ist Vernunft:

  • Vernunft ist unendlich frei, da sie sich selbst genügt
  • Vernunft ist in und für sich selbst (bitte nicht fragen, was das bedeutet :), nichts ist außerhalb des Prozesses
  • Vernunft ist demnach die Substanz der Weltgeschichte. „since world history is caused and guided by a rational process“ (http://www.sparknotes.com/philosophy/hegelphilhist/summary.html), denn andernfalls könnten wir es nicht verstehen

Was ist Freiheit für Hegel? Geist ist Freiheit realisiert in der menschlichen Geschichte. Menschen sind das Mittel in dem sich der Geist über ihre Köpfe hinweg realisiert. Auf der anderen Seite sind Menschen aber auch Subjekte und nur dadurch dass der Geist seiner selbst im Menschen bewusst wird, realisiert sich Geschichte (see http://www.sparknotes.com/philosophy/hegelphilhist/summary.html).

Wie kommen also dieses Subjektive, das Partikuläre des Individuums und das Objektive der Universalien zusammen? Für Hegel erscheint dieses Dritte im Staat, der Gesamtheit aller Individuen und der Regierung (see http://www.sparknotes.com/philosophy/hegelphilhist/summary.html). [Ein Staat ist daher für Hegel immer gut, oder im platonischen Sinne zumindest besser als der völlige Zerfall. Die Umwälzung durch Revolutionen wird dabei auch immer als Gefahr interpretiert, dass alles riskiert werden würde]. Im Staat realisiert sich etwas, das allen Indivduen doch gemeinsam sein sollte und zugleich universal verschieden. Etwas, dass die meisten nicht verstehen, denn der Staat repräsentiert die Menschen nur, aber drückt nicht direkt ihren Willen aus (auch ein längeres Thema). Er ist eine Synthese von partikularen und universalen Interessen.

Natürlich bleibt der Staat niemals in seiner optimalen Form. Geist muss über die Modi der Zerstörung in immer stärkeren Formen zurückkehren. Alle Selbstnegationen bringen Geist zu einer kompletten Realisierung im Selbstbewusstsein als rationale Freiheit und dies ist Vernunft.

Soviel Unklarheit mit Hegel für heute. Es ist aber ersichtlich, dass sich meine Forschung zunehmend von epistemologischen Problemen in den ethisch-politischen Bereich verschiebt.

 

5. Motivation zum Trainieren und Weitergehen:

Da das alles schwer genug war: Ich lese gerade ein Buch zum Flow und Steph Curry, der letztes Jahr mit Golden State die NBA gewann, scheint zu wissen wie das geht. Seine Vorspielroutine hier:

 

Zum Flow-Buch bald mehr

 

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Norman Schultz

Pittsburgh, März 2016

 

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Trivia, Donald Trump, Waterboarding, Oscars und mehr: Unphilosophischer Bericht aus Pittsburgh – Meine Woche in 5 Punkten

Ashok und Ben demonstrieren unser neues Hover-Board

1. Trivia-Erfolge

Amerika ist die optimistische Alpha-Kultur, die das Banale zum höchsten Gut erklärt und seriöse Fragen wie zum Beispiel Klimawandel Europa überlässt. Dem Banalen werden Oscars und Grammies verliehen und auf Superbowlparties feiern die Amies ihre Skandälchen mit Beyonce. Ansonsten hält der Amerikaner gerne die die Hand auf der Herz-Brust. Ganz ehrlich, erst letzte Woche habe ich mir ein LaCrosse-Spiel unserer Duquesne Frauen angeschaut. Durchweg blond standen sie am Anfang mit der Hand auf dem Herz und lauschten der Nationalhymne. Das wird hier bei jedem Spiel sogar bei der Jugend zelebriert.

Deswegen gibt es auch Trivias, also Spiele, bei denen man banale Fragen zu einer eigentlich banalen Kultur beantworten muss. Es gibt Trivias natürlich auch in Deutschland, aber die Amerikaner waren womöglich die ersten, die das Triviale zum Aushängeschild ihrer Kultur umfunktioniert und kommerzialisiert haben (noch vor Herr Tutorial). In Amerika ist Trivia keineswegs trivial, sondern eine ernste Angelegenheit und deswegen haben wir bei unserem letzten großen Erfolg völlig überraschend
ein Hoverboard gewonnen.

Bis zu dem Zeitpunkt als wir die Treppen hinaufstiegen, wussten wir nicht, dass es überhaupt etwas zu gewinnen gab.

Natürlich haben wir hierfür ein Team einzigartiger Individuen zusammengestellt, so dass wir einen möglichst breiten trivialen Bereich abdeckten. Roly, Experte für asiatische Kultur, und Go-Spieler, Ellen, Ballettänzerin, Cellospielering und Philosophin, Ashok, Statistik in Berkley studiert und Sportenthusiast, Ben, Krebsforscher, Ian, ehemals beim Militär und Globetrotter, meine Wenigkeit und John Harvey.

The smartes man of Pittsburgh

 

John Harvey unser Mann für ernste Angelegenheiten. Er spricht fließen Deutsch, Französisch und übersetzt fehlerlos Latein und Griechisch. Er ist beseelt in Mathematik, Geschichte, Chemie, Biologie, Physik und allen anderen Wissenschaften, die interessant sind und ist natürlich auch Professor für Philosophie. Als der Moderator verkündete, dass die nächste Frage zur Antike wäre, jubelten wir bereits und ich begann Johns Schultern zu massieren. John parierte die Frage (die ich überhaupt nicht beantworten konnte und deswegen vergessen habe) selbstbewusst mit Attila. John wusste alles über Attila und und zog ein selbstverfasstes Theatherstück aus der Tasche zu ziehen, betitelt mit „Attila, der Hunnenkönig“.

Nicht nur die Hoverboards hovern

 

Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Natürlich waren wir zu spät in der Bar, weil das Trivia in einer anderen Bar gecancelt war und wir verpassten eine ganze Runde (aus 6 Runden a drei Fragen). Wir holten aber Runde um Runda auf. In der finalen Frage konnte ich mit meinem exorbitanten Tom Cruise Wissen glänzen (mein ganzes Leben belächelt dafür, dass ich Tom Cruise Filme als gut einstufte). Wir setzten volle Punkte und zogen mit der letzten Frage an die Spitze und gewannen mit einem Punkt Vorsprung ein Hoverboard im Wert von 300 Dollar, das Ian dann gleich im Anschluss die Treppe hinunter schmiss. Nun fahren wir in meiner WG täglich mit dem Hoverboard durch das Haus. Und billig sind die Dinger nicht:


2. Nicht ganz so trivial: Der Wahlkampf wird heiß

Die rhetorische Verrohung feiert die Befreiung von den Fesseln der politischen Korrektheit und sinkt dabei ins banale Stammtischgebrabbel. In den sozialen Medien bündeln die Gerade-so-Alphabetisierten ihre Energien und setzen die klassischen Demokratieorgane unter Druck. Das Internet wird zum globalen Stammtisch und als Alternative zur intellektualisierten Lügenpresse gefeiert. Sarah Palin will so zum Beispiel Terroristen mit Waterboarding taufen und erntet dafür den erwarteten Social-Media-Applaus.

Natürlich ergibt die Aussage keinen Sinn. Werden Menschen etwa durch derart Taufen zu Terroristen? Oder anders herum, haben sie mit Waterboarding die Chance Christ zu sein? Vergibt sie ihnen damit die Sünden? Ähnliches Entrücktheit gilt dann auch für Donald Trump, der gerne noch weitere Techniken einführen möchte und Waterboarding als zu sanft einstuft.

Der Trend geht also dank Social Media dahin, dass sich nicht nur Wissen vermehrt, sondern auch Dummheit potenziert. Wer daher Verschwörungstheorien unterstützt und sich zuvor nicht mit Wissenschaftstheorie auseinandersetzt, der unterstützt eben auch die Stammtischparolen.

3. Journaling

Neben diesen Lebensereignissen empfehle ich dringensT mit dem Journaling zu beginnen.  Mein Journal folgt dabei einer bestimmten Routine. Wahrscheinlich interessant anzusehen, ein paar Beispiele.

Hier ist die beste Einleitung, was so ein Journal erreichen kann. Es geht dabei vor allem um den Aufbau. Ein Journal hat den Vorteil, dass es nicht wie ein Planer jeden Tag einzeln geführt werden muss.

Das folgende Journal ist absolut überwältigend und sicher nicht notwendig für den Beginner, aber es zeigt, was damit in der Zukunft möglich ist.

Der Vorteil eines selbstentworfenen Journals ist die Flexibilität und es verfährt kontinuierlich. Lässt man es einen Tag aus, so geht es eben den nächsten Tag weiter. Ebenfalls eine wunderbare Idee ist ein Kinderjournal. Hier das Beispiel eines Vaters, der all die Lebensereignisse seines Sohnes festgehalten hat, erklärt von seinem Sohn. Wirklich emotional, leider alles auf English.

Hier ein etwas weniger elaboriertes Modell, das gute Ideen enthält, die man für sein eigenes Journal im Hinblick auf die Struktur nutzen kann.

Bei Amazon gibt es ganz gute Produkte. Beim letzten sieht man, dass es nicht so übersichtlich war. Ich glaube, dass es auch an den Kästchen liegt. Beim Bulletjournal ist liniert ganz sinnvoll und man kann damit auch wunderbar seine Schrift üben.

 

4. Oscarparty

Nächste Woche Sonntag finden die Oscars statt und wir organisieren dafür bereits unsere Oscarparty. Es gibt einen roten Teppich. Und wer die meisten Oscarvorhersagen macht gewinnt unseren kleinen Oscar.

 

Gemein wie ich bin, hoffe ich insgeheim, dass Leonardo DiCaprio nicht den Oscar gewinnt. Aber nehmen wir an, er gewinnt ihn sein ganzes Leben nicht und dann machen sie einen Film über diesen guten Schauspieler, der niemals den Oscar gewann und dann gewinnt ihn der Schauspieler, der ihn in diesem Film spielt. Das wäre eine Tragik des Lebens und der Stoff aus dem gute Geschichten sind.

Ach und zum Film Deadpool. Der Film passt zu oben erwähnten Stammtischparolen, denn er besticht vor allem darauf Witze im Vulgär- und Fäkalbereich auszuschlachten und dabei mit diesem Image auch noch zu kokettieren. Im Grunde ist Deadpool ein platter Actionreißer zurückgeschrumpft auf Bud Spencer und Terence Hill-Humor. Nicht das Bud Spencer und Terence Hill-Filme schlecht wären, aber sie gehören eher in den Bereich des wirklich Trivialen.

Krankheit

Letzter Punkt: ich war mal wieder krank, aber mittlerweile verstehe ich mehr worum es geht. Der Grund warum ich krank war, ist nicht notwendig eine Infektion, sondern kann zu großen Teilen durch Stress bedingt. Was mir nun im weiteren aufgefallen ist, dass ich ca. 2 mal im Jahr für jeweils 3 Tage krank bin. Das ist ein absolut normaler Wert und nicht bedenklich, allerdings merke ich, dass es immer genau der gleiche Ablauf ist. Erst Jucken nachts meine Ohren, der Hals schmerzt etwas, und dann fängt meine Nase unnormal an zu laufen. Einen Tag später habe ich leichten Husten. Wenn ich sofort meine Nase mit Schnupfenspray behandle schwillt nichts mehr an und auch das Fieber hält sich in Grenzen. Ich lutsche gute Halsbonbons, was vielleicht meinen Hals etwas desinfiziert und nicht viel zur Ausbreitung der Keime beiträgt und ich trinke viel Wasser. Früher waren diese Infekte viel schlimmer, was auch daran liegen mag, dass ich mittlerweile kalt dusche, jeden Tag mit dem Fahrrad einen Berg erklimme und nebenbei noch laufen gehe. Außerdem habe ich mein Frühstück und Mittag standardisiert, so dass immer Gemüse auf dem Essensplan steht. Da der Ablauf meiner Krankheiten jedoch immer derselbe ist, habe ich nun folgende These: Da unser Körper mit vielen Bakterienkulturen besiedelt ist, lösen bestimmte Infektionen ein Ungleichgewicht aus, so dass bestimmte Bakterienkulturen in meinem Körper, oder meinetwegen auch Viren, sich rasant vermehren und vom Körper nicht mehr im Gleichgewicht gehalten werden. Dieses führt dann zu der immer gleichen Krankheit. Man könnte es auch eine Immunschwäche nennen. Ich will mich also in Zukunft darauf konzentrieren, diese Krankheit zu bekämpfen, die ich offenbar chronisch habe, so dass es im Alter nicht schlimmer wird.

Warum erzähle ich das? Nun ich glaube in diesem Sinne an Naturheilverfahren, aber nicht an Homöopathie. Hierzu ist wieder eine Meta-Studie erschienen, die feststellt, dass Homöopathie nicht wirkt. Aber die Lügenwissenschaft ist ja von der Lügenpresse gekauft und Donald Trum weiß auch, dass man Kinder nicht impfen sollte.

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Norman Schultz

Pittsburgh, Februar 2016

 

 

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Zum Tode meines Professors Edmund Braun

Rembrandt Harmensz. van Rijn - Jeremia treurend over de verwoesting van Jeruzalem - Google Art ProjectAm 20. März 2015 diesen Jahres verstarb mein Professor, Dr. Edmund Braun.

Als ich im Winter 2007 nach Köln kam, da hatte mich so eben Freiburg wegen eines enormen Verwaltungsfehlers abgelehnt. Die Umstellung nach der Bolognese-Reform hatte für mich erhebliche Konsequenzen. Ich wollte eigentlich Phänomenologie in den Fokus nehmen und mich darauf in Freiburg konzentrieren. Nun gut, immerhin hatte Köln ein Husserl-Archiv und ich besuchte dort auch die Oberseminare.

Bald aber entdeckte ich ein Oberseminar bei einem sehr alten Professor, der schon damals mit erheblichen, gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Professor Braun war damals um die 80 Jahre und hatte schon eine sehr steife Statur. Drehte er sich um, wenn ein Student zu spät in den Seminarraum kam, so grüßte er ihn sehr freundlich, allerdings nur, indem er steif seinen ganzen Oberkörper zu ihm drehte. Wie er damals trotz seiner Gebrechen noch selbstständig mit dem Auto zu den Seminaren kam, schärfte in mir den Gedanken: Philosophie-Professoren wollen bis ins Grab hinein unterrichten. Jedenfalls galt dies für Professor Braun. Kurzzeitig erblindet, ließ er sich meine Magisterarbeit vorlesen und ließ es sich auch nicht nehmen, meine Prüfungen abzunehmen. Akademisch war Professor Braun bereits von den einflussreichen Schnittstellen abgeschnitten, aber intellektuell fühlte ich mich sehr zu ihm hingezogen. Vor allem sein fortwährender Kontakt zu seinem guten Freund Apel machte seine Philosophie lebendig. Was also enthielt seine Philosophie?

Sprache, die zwar schon immer einen wichtigen Gegenstand der Philosophie darstellte, aber bis zum 20. Jahrhundert nie im Zentrum dieser Disziplin stand, hatte in Edmunds Braun Transzendentalpragmatik den höchsten Rang [1]. Sein Buch „Der Paradigmenwechsel in der Sprache“ war für mich das Zeugnis von dem umfassenden Verständnis, dass er sich über die Sprach- Philosophie erworben hatte. Seine 20-Jährige Forschung zu Aristoteles wendete sich spät, auch dank Apels Einfluss. Nun versuchte er, eine kantisch verstandene Sprachphilosophie als erste Wissenschaft zu etablieren und dabei auch den Verweis auf ein Transzendentales zu erhalten.

Immer wieder ging es in Professor Brauns Seminaren zur Sache. Die These, dass Sprache der unhintergehbare Kern unseres Denkens war, galt unter Kölnern streng analytischer Lehre als zu radikal. Einmal verließen zwei wütende Studenten das Seminar und riefen noch über den Flur, dass sein Seminar unmöglich wäre. Dennoch war mir Professor Brauns herausfordernde Art zutiefst sympathisch. Nein, er polemisierte nicht, sondern er erlaubte Studenten sich zu artikulieren, den Inhalten selbst nachzuspüren. Interaktivität und Diskurs prägten seine Seminare. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir zwar sehr kleinschrittig vorangingen, dennoch fühlte ich immer einen Kontakt zu den großen Themen der Philosophie, die er mit Sachverstand. doch zugleich verständlich aufschlüsseln konnte.

Für Professor Braun war die instrumentale Auffassung von Sprache, die Sprache nur als bloßes Mittel zur Beschreibung und Übertragung von Gedanken betrachtet, zurückzuweisen und ihre fundamentale Funktion in allen kognitiven Akten aufzuklären.[2] So heißt es etwa bei ihm: „Sprache begleitet, begründet, stützt und formt unser Denken und Handeln.“[3] Folglich konnte es für ihn kein sprachfreies Denken geben. Alles Gedachte vollzog sich in Sprache oder noch genauer im Diskurs.

Hier kam Edmung Braun bald schon auf die Spuren von Robert B. Brandom, der die Auffassung, die Sprache nicht ausschließlich über Repräsentationsleistungen definiert, sondern die fundamentale (Be-)Deutungsleistung der Sprache im semantisch-pragmatischen Vokabular ausbuchstabierte. Auch dies brachte mich schließlich auf die Spur nach Pittsburgh.

Das letzte und wichtigste Ziel der Transzendentalpragmatik war für Professor Braun jedoch, eine universale, normative Ethik zu begründen. Um jedoch überhaupt eine angemessene Diskussion eines sprachlichen Vernunftbegriffes in der Transzendentalpragmatik im Hinblick auf eine normative Ethik gewährleisten zu können, musste für ihn erst die Einsicht erfolgen, dass ein Sein-Sollen nur in der Regelhaftigkeit einer dialogischen Sprache fußen kann [4]. Denn über die Sprache als Bedingung der Möglichkeit und Gültigkeit der kognitiven Vollzüge  hinaus ist diese zudem eine normative Institution, da für die Regeln des Sprachvollzuges konstitutive Voraussetzungen in einer Kommunikationsgemeinschaft anerkannt werden müssen. Insofern Äußerungen sinnvoll sein und Geltung beanspruchen sollen, ist diese Anerkennung notwendig. Diese stets anzuerkennenden Voraussetzungen sind also Bedingungen und somit immer Grundnormen für eine Kommunikationsgemeinschaft. Gesetzt sind damit diese Grundnormen durch die Institution der Sprache. Begründungen können so nur Begründungen sein, wenn Sprache immer als relatives Sinn– und universales Geltungsapriori besteht [5]. 

Sinn ohne Sprache gab es für Prof. Braun daher nicht. Die Sprache als unhintergehbare normative Instanz und für jedwede normative Ethik war für ihn die Grundlage einer normativen, universalen Ethik.

Die frühe Einsicht der Transzendentalpragmatiker, zunächst den semantisch-syntaktischen Sprachbegriff, der sich aus der Annahme einer ausschließlichen Repräsentationsfunktion der Sprache herleitet, pragmatisch zu integrieren, was grob gesagt die Berücksichtung einer Kommunikationsgemeinschaft bedeutet, hatte diese Strömung den gegenwärtigen, führenden Strömungen wie Robert Brandoms Expressivismus/ dem kognitiven Realismus bereits vorweggenommen.

In der Folge dieser Einsichten begann für Prof. Braun eine neue Schaffensperiode, die ihn zu immer neuen Artikeln und Büchern über eine Ethik auf Grundlage transzendentalpragmatischer Einsichten trieb. Ich erinnere mich, wie er selbst im hohen Alter und geplagt von verschiedenen Strahlentherapien an seinen letzten Büchern teilweise bis in die Morgenstunden hinein arbeitete. Müde, aber doch mit voller Energie und Diskussionsleidenschaft erschien er dann dennoch bei den Seminaren. Es war immer sein Ziel noch letzte Bücher auf den Weg zu bringen und so widmete er sich zunächst der Anthropologie und dann vermehrt ethischen Themen, wobei er vor allem die instrumental geleiteten Ethiken angriff und sich auch versuchte gegen die relativistischen Strömungen zu wehren. Ethik war für ihn begründet in einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft.

Leider entfielen seine letzten Seminare, weil der Gesundheitszustand, es ihm nicht mehr erlaubte, zum Seminar zu kommen. Leider verließ ich Köln bereits im Jahr 2011. Dennoch behalte ich Prof. Braun nicht als alten Professor in Erinnerung, sondern als jemanden, der auch im Alter und trotz Krankheit noch viel Lebensfreude und Inspiration für seine Studenten aufbrachte. Ich behalte ihn als einen der engagiertesten Professoren in Erinnerung, der immer auf der Höhe der Zeit seine Theorien entwickelte, was auch die rege Teilnahme vieler Studenten an seinen Oberseminaren bezeugte. Ich bin ihm dankbar für die Philosophie der Transzendentalpragmatik, die er für mich aufgeschlossen und entschlüsselt hat. Ich wünschte, ich hätte die Zeit, zu intensiverem Kontakt genutzt.

Norman Schultz, Pittsburgh, 31. Dezember 2015

Quellen:

Braun, Edmund 1996: Der Paradigmenwechsel in der Sprachphilosophie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt

Braun, Edmund 2007: Sprachapriori in der Kunst.  in Aufgang – Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik – Band 4 – Eros, Schlaf, Tod – Herausgegeben von José Sánchez de Murillo und Martin Thurner.

Braun, Edmund 12/2007: K.-O. Apel – Transzendentalpragmatik als normativ-semiotische Transformation der Transzendentalphilosophie. http://www.philosophieren.de/menu1/philosophePERSÖNLICHn/apel/apel.pdf

Kuhlmann, Wolfgang 1992: Sprachphilosophie – Hermeneutik – Ethik. Königshausen & Neumann

 

[1] Vgl. Kuhlmann 1992: 9

[2] Vgl. Braun 2007: 413

[3]  Braun 2007: 413

[4] Vgl. Braun 12/2007: 3

[5] Vgl. Braun 12/20007: 8

[6] Vgl. Braun 12/2007: 8

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Oberflächliche Ideen und konzentriertes Arbeiten im Detail – Zum Stand meiner Dissertation in Pittsburgh

Vierter Juli, das ist schon etwas vorbei, ja, ich schreibe selten und mittlerweile weicht sich das Profil auf, mit dem ich hier ursprünglich begonnen hatte zu schreiben. Mein eigentliches Projekt war es ja Grenzen der Menschheit anzudenken. Das war vor 5 Jahren und in der Zwischenzeit habe ich einen Magister, was mich wohl auch damals zu dem Thema bewogen hat, und außerdem arbeite ich mittlerweile an meiner Dissertation. Was also passiert hier nun? Zunächst muss ich sagen, dass sich in Pittsburgh das Gefühl von amerikanischer Unabhängigkeit einstellt. Ich war zum ersten Mal im Sommer hier und bin nicht zurück nach Deutschland geflogen und so habe ich auch den Unabhängigkeitstag zum ersten Mal als wirklich nationales Event kennengelernt.

Im Weiteren ist meine Tochter nun eingetroffen und wir haben ein paar Kinder eingeladen und ihren Geburtstag nachgefeiert.

Hier sind sie beim Versteckspiel:

Außerdem, wie man sehen kann, habe ich mir für diesen Anlass eine neue Linse für meine Kamera besorgt. Eine Feststelllinse mit der ich bestimmte Unschärfeeffekte hervorrugen kann und darüber hinaus, das Licht sehr gut einstellen kann.

Nun aber zum eigentlichen: Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, hier weniger über meine philosophische Arbeit zu berichten und stärker reflektierende Kulturphilosophie zu betreiben. Dies hatte auch einen einfachen Grund: Philosophisches Handwerk ist in den konkreten Begriffen zäher als ungekochte Schuhsohle. Mir fiel schon seit längerer Zeit auf, dass sich dabei philosophische Werke einerseits aus leicht zu verstehenden Slogans, andererseits aus konkreter Detailarbeit zusammensetzen. Mit Slogans meine ich Schlachtrufe, wie „zu den Sachen selbst“, eine Husserlianische Aufforderung, die verstaubten Begriffe von Gott sowie haltlose Spekulation hinter sich zu lassen, der Slogan „Identität der Identität und Differenz“, eine kompliziertere Deutsch-idealistische Formulierung, die davon ausgeht, dass Sein sich nur verstehen lässt, wenn wir eine Einheit aus Sein und Nicht-Sein konstruieren, was natürlich auch Slogans wie das parmenidische „Alles ist Eins“, was eben diese Differenz in der Identität nicht zulässt, oder Slogans wie das heraklitische „Alles fließt“ umfässt, wobei die Heraklitische Idee besagt, dass es keine stabilen Realitäten gibt, sich alles verändert und somit neben der Differenz keine Identität sein darf. Von hier aus ist es nicht weit bis zur Hausfrauenapothekenphilosophie: Wo Licht ist, ist auch Schatten, wo Sonne ist, muss es auch Regen geben oder man muss das alles ganzheitlich sehen.

Problematisch ist, dass wir mit solchen Slogans für gewöhnlich unsere Weltbilder zimmern. So ist zum Beispiel das Wort „ganzheitlich“ zum tödlichen Schlagwort für Impfgegner und ihre Rechtfertigung in der Regel nicht mit Details begründen, sondern auf Slogans hereinfallen. Daher fällt mir nur immer wieder ein, was mein erster Professor Rainer Enskat damals sagte, dass Wissenschaft bei der Genauigkeit beginne. Ich glaube, ich verstehe das von Jahr zu Jahr besser. Im Gegensatz zur Hausfrauen- oder meinetwegen Hausmannphilosophie ist die Philosophie die Wissenschaft vom Ganzen und beschränkt sich nicht nur darauf, verschiedene Slogans in einen Topf zu werfen und dann einmal kräftig zu rühren. Es geht auch nicht um Schlagworte wie „ganzheitlich“, denn ich behaupte, dass jeder der genuin an Wissen interessiert ist, auch eine ganzheitliche Betrachtung verfolgt. Vielleicht ist gerade der im Unrecht, der eine ganzheitliche Perspektive für sich ohne Weiteres in Anspruch nimmt?

Nun bemerke ich bei meinen Texten, dass ich oftmals diesen Sloganbrei selbst zusammenrühre und die konkrete Arbeit am Begriff hinterherhinkt. So weiß ich zum Beispiel, dass Brandom eine pragmatische Integration der Referenz-Semantik anstrebt, wie er das aber konkret mit anaphorischen Begriffen macht, habe ich noch nicht ganz erarbeitet. Auch seine Unterscheidung zwischen De-Re und De-Dicto-Aussagen ist noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Dennoch weiß ich: Making it Explicit ist Brandoms Meilenstein, was die ganzheitliche Ausarbeitung in Bezug auf das Repräsentationsproblem angeht und selbst Habermas überschüttet es gerne mit Lob. Aber das ist Oberfläche.

Aber damit tauche ich auch schon in die Schwierigkeiten. Also abgesehen von diesen Slogans hat mich immer schon das Detail interessiert. Hier aber kommen wir in eine Welt, die sich vom ersten Anschein verabschiedet und in einen haltlosen Boden driftet. Warum das? Wo Erklärungen immer wieder überworfen werden und keine Wahrheiten bestehen bleiben, weil sich im Detail der Slogan einfach als zu oberflächlich zeigt, dort bleiben wir nicht bei Resultaten stehen. Die Befriedigung, die sich oftmals im Alltag einstellt, weil ein gemeinsamer Nenner gefunden wurde, ist nicht unbedingt das Resultat der Philosophie. Mittlerweile kann ich sagen, das Vorsicht bei Menschen geboten ist, die einem simple Wahrheiten verkaufen. Dabei ist übrigens auch jene angebliche Wahrheit, dass Wahrheit einfach sei, ziemlich verdächtig. Es haben sich schon viele mit Ockhams Rasiermesser geschnitten (Vorsicht: Kalauer).

Nun ja aber warum das alles? Eigentlich hatte ich einen Nachruf auf meinen Professor aus Köln verfasst und dort viele Slogans zusammengezimmert. Leider habe ich vergessen zu speichern. Auf jeden Fall ist der Artikel jetzt mal weg und die Zeit drängt. Nun, was passiert also gerade in meiner Philosophie? Ich frage mich wirklich, ob es Individuen wie Stühle gibt. Das ist natürlich bescheuert, denn natürlich gehen wir damit tagtäglich um und stellen sie von A nach B, aber abgesehen von diesem Resultat, dass wir mit Phänomenen wie „Stuhl“ operieren, erscheint mir die Überlegung, dass es Dinge an sich gibt oder dass dort Materie sein soll, doch sehr abstrakt.

Moment ich sage nicht, dass es keine Materie gibt oder keine Gegenstände, aber ist mit den Worten „Materie“ und „Dinge“ schon alles oder überhaupt etwas gesagt? Wie man die Brille auf seiner Nase nicht mehr sieht, ein hochkomplexes Gerät, ebenso wie man sein Auge nicht sieht oder ebenso wie viele Menschen im Mittelalter nicht wussten, dass sie ein Gehirn haben, so erscheint mir auch der Begriff „Materie“ als nahezu unbekannt, denn wir haben Materie einfach nicht erfahren. Es ist ein äußerst schwammiger Begriff, der keine genaue Bestimmung hat. Irgendwie verfahren wir mit dem Resultat, dass Aristoteles unter dem Stichwort Hyle (Holz) als erstes fasste. Ja damals hieß Materie noch Holz, was ein Ausdruck einer Verlegenheit ist, aber diese Verlegenheit haben wir mittlerweile auch wegen der Informationsfülle unserer Alltagswelt vergessen (Wer das Internet benutzt, fühlt sich dabei oftmals nur schlauer, wie Forscher jetzt herausfanden. Das habe ich übrigens gegoogelt und ich fühle mich jetzt tatsächlich schlauer). Was aber soll Materie sein?

Eine Studentin im Seminar bei mir zeigte sich ganz schockiert, dass ich den Begriff Materie nicht voraussetze und ihn auch herleiten möchte. Sie schaute mich an und meinte, dass doch alle Dinge Materie hätten. Daraufhin fragte ich sie, ob sie mir Materie mal zeigen könnte oder ob sie welche zu Hause hätte und mal mitbringen könnte.

Mir erscheint, dass hier oftmals vieles auf sogenannter externer Reflexion fußt, zum Beispiel, dass wir mit Dingen umgehen als wären sie Materie. Was aber heißt „mit einem Ding umgehen“? Und was ist ein Ding? Ich sage dabei nicht, dass es diese nicht gibt, aber wie Russel zum Beispiel behauptet, er habe eine Eimer-mit-Schrot-Theorie während Hegel eine Schüssel-voll-Marmelade-Theorie hätte, so erscheint es mir absurd, zu behaupten, unser Universum wäre ein Eimer gefüllt mit individuellen Schrot-teilchen, denn wie stehen diese Teilchen in Beziehung? Hegel behauptet übrigens nicht, dass gemäß einem Marmeladentopf alles zusammenklebt, sondern seine Kritik entspringt eher daran, einen unbegründeten Atomismus zu behaupten, eben diesen den Russel gleich wieder beginnt, nachdem Russel Hegel wie eine wehrlose Strohpuppe abgeschossen hat (eine sehr gute Analyse des Gründungsmythos bietet hier Redding).

Nun ist es bei Hegel tatsächlich so, dass er sich von einem semantischen Atomismus verabschiedet und damit einen sogenannten holistischen Pragmatismus vorwegnimmt. Für ihn müssen Dinge auch in ihrer Relation geklärt werden. Wäre zum Beispiel dieser Stuhl nur für sich, ein In-sich-sein, dann würde er nicht in Bezug auf anderes sein können. Er würde wie Sein in sich zusammenstürzen, keine Beziehung zu nichts aufweisen und wäre damit für uns nichts. In-sich-sein wie Sein wäre dann epistemologisch nichts. Es würde wie Leere zerfallen, daher muss eine Differenzierung ein Übergang zu dem Sein-für-anderes stattfinden. Der Kniff aber an Hegels Theorie ist nicht, dass er nun behauptet, dass der Stuhl nicht an-sich in-sich wäre, sondern dass Hegel terminologisch einfach die Herkunft unserer Begriffe begründen will, wobei diese Selbstbewegung des Begriffes die ihm angenehme Ontologie und den Inhalt jeder Logik ausmacht. Wir reden also nicht über Identitäten, sondern erst einmal über differente Dinge, die uns auffallen und versuchen sie in immer höherer Auflösung zu beschreiben. Das wäre dann die Arbeit am Detail und stattdessen einen Slogan von Realität vorauszusetzen, versuche ich diese Details mit ein paar historischen Slogans in Berührung zu bringen. Das ist gerade Gegenstand meiner Dissertation.

Soviel also zu dem, was mich philosophisch gerade beschäftigt, ansonsten ist, wie oben gesagt, meine Tochter hier, die sich übrigens von einem Genie drei Dinge wünschen würde: ein Einhorn, eine Prinzessin zu sein und eine Banane.

Weil sie gekommen ist, habe ich die neue Linse gekauft, die diese Unschärfeeffekte gut erzeugen lässt und ich habe auch eine Party für sie gemacht.

Gil, ist übrigens Musiker und wir bei unserer nächsten Party einen Musikworkshop mit alternativen Instrumenten organisieren.


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Norman Schultz, Pittsburgh Juli 2015

Norman Schultz

Pittsburgh, Juni 2015

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Griechenland, EZB, Russland und der ganze Rest – Meine Meinung zur Gegenwartspolitik – Juninous 2015

 

Aegina, The Temple of AphaiaDer Grexit soll nun aus einer fortwährenden Krise die Ansteckungsgefahr europäischer Staaten auf die Probe stellen. Inwieweit greift dann das großpolitische Finanzgemetzel in unsere Tasche? Für mich ist das relevant, da meine Familie aus Europa zu Besuch kommt und nächste Woche vielleicht stark entwertete Euros in Dollar wechseln muss. Dabei sind wir natürlich nicht wirklich schockiert. Die Malaise ist eigentlich einer Erscheinung der Moderne und Europa steckte schon immer halb im Geburtskanal, der irgendwie auch immer hin zum Sterbebett führte. Unsere Krankheit über öko-logische Verhältnisse zu leben entspricht einem Räuber-Beute-Prinzip und auch wenn wir darauf keine letzte Zigarette mehr rauchen, wir prosten uns nochmal zu, als wären wären wir auf einer Selbstmörderparty.

Trotz dialektischem Schwelen zwischen Macht und Übermacht sind Krisen dabei nicht nur dumpfe Inhalte unserer Zeitungen, sondern ein mediales Hintergrundrauschen; mit unter auch ein romantisches Lagerfeuerknistern. Wir informieren uns über die Krise morgens im Radio. Lagerfeueratmosphäre kommt auf. Abends schauen wir wie zu einem Feuerwerk am Medienhorizont hinauf. Was ist schon eine Krise? Für uns, eine Generation, die immer mehr brauchte und immer mehr verbrauchte, bleibt auch dieses vermeintliche Gewitter wie eben Nachrichten über ein anderes Wetterungeheuer. Wer einen warmen Sommer aushält, der hält auch mal eine Krise aus. Wer einen Schnupfen hat, der erholt sich auch schon mal mit Homöopathie. Und die Krisenzigarette rauchen killt nur langfristig, aber gelebt wird jetzt. Was ist schon Askese wert im Vergleich zu einer guten alten Selbstmörderparty? Wahre Dialektik aber endet mit dem Genuss und natürlich muss die normale Arbeit auch weiter gehen. Wir erzählen Geschichten nicht zu Ende, weil wir keine Zeit haben. Geschichte übersteigt unsere Lebenszeit. Das ist alles kein Vorwurf. Die Meinung ist dabei die Abkürzung zum Circle-Jerking der Verschwörungstheoretiker. Meinungen sind noch irgendwie in ein Gehirn pressbar.

Aber die Krise hat auch andere Konsequenzen für das europäische Narrativ: Europa kennt keine Helden, denn Medien können keinen Kelmut Hohl mehr installieren. Dafür ist das Internet zu fraktuiert und mit Routineverschwörungstheorien beschäftigt. Es sollte ja nur eine linke Regierung gestürzt werden.

Die Amerikaner haben wirklich das ganze Wochenende ihre neu errungene Freiheit gefeiert, wie dieser Herr hier.

Abstraktes Geld das irgendwo in Sumpflandschaften investiert wird, bleibt unverständlich, selbst für die handelnden Politiker. Aber es sind doch unsere Steuern oder? Ist da nicht irgendwo auch mein Euro drin? Die Idee des Besitzes hat eine ganze Gesellschaft ergriffen und ist dabei so abstrakt geworden, so dass jedem Steuerzahler irgendwie auch Griechenland gehört. Die Dinge in der öffentlichen Welt, sie gehören plötzlich allen. Schaut man genau hin, so erkennt man in jedem öffentlichen Gegenstand auch sein Geld darin. Und obwohl wir nicht einmal eine Schachpartie angemessen verstehen, wissen wir alle irgendwie, was Dr. Merkel machen sollte.
Die Dialektik von Krisen hat mit der Entwicklung neuester Medienkanonen einen weiteren Push in Richtung Meinung bekommen. In Informationsfluten geht man nicht baden, sondern unter. Statt Informationen lassen wir uns daher abends warme Bäder mit Meinungsschaumbad ein. Natürlich gehöre ich dazu, auch wenn ich mich eigentlich politischer Meinung immer enthalten wollte.
Derweil scheint hier allen der Regenbogen aus dem Arsch, da Amerika jetzt schwul ist. Die Medienkanonen feuern hier aus allen Rohren und Menschen laufen mit Regenbogenfahnben über die Straßen. Wie die Ice-Bucket-Challenge gehört es nun zum guten liberalen Ton, sein Profilbild in Regenbogenfarben zu wechseln. Selbst mein Professor fragte mich, ob dies nicht die perfekte Realisierung von Habermas‘ Ideal einer entsubstantialisierten Legalität ist. Ich weiß dabei nicht, ob die Welt wirklich substanzlos ist. Ich sollte Eisleben fragen. Eine andere Meinung ist so gut wie meine. Meinungsfreiheit ist Meinungsgleichheit und sie wird zur Währung in entsubstantialisierten Systemen. Youtube macht es vor. Meinungsjongleure sind erfolgreicher, werden Millionäre und interviewen Frauen dann über den schnellen Sex. Vom schnellen Sexgespräch zum schnellen Geld.

Der Trend geht zu diesen Pranks und Interviews. Ansonsten aber weiß ich wirklich nicht, welche Meinung ich von großpolitischen Ereignissen haben soll. Versuche mich aber an dem Thema in meiner Dissertation weiter abzuarbeiten. Mit Meinungen aber geht es im Leben weiter. Denn Meinung ist im Aggregat nicht nur eine Parellelwährung auf Youtube, sondern ein reißender Empörungsfluss, der auch staatlich kanalisiert werden sollte. Schauen wir also nach Russland.
Derweil arbeiten die Russlandversteher daran, ihren Ruf zu verbessern. Jemanden zu verstehen ist ja eigentlich gar nicht mal so schlecht und stattdessen muss man doch erstmal überhaupt verstehen, so sagen sie. Nagut dann mal los. In Russland sind im letzten Jahr fünf neue Stalinstatuen eingeweiht worden. Wie versteht man das? Das hängt alles damit zusammen, dass Amerika zuerst 5 neue Obamastatuen in der Ukraine eingeweiht hatte? Oder wenn China das mit Mao Dse Dung darf, dann ist es sowieso alles egal-legal? Legal ist, was ist gleich ist? Schaut euch weiter eure Sendung-mit-der-Maus-Versteher an, anstatt in der Dialektik nicht auf dem halben Wege stehen zu bleiben. Hier ein Video, dass einiges Kopfnicken erzeugen wird, aber sagt mal geht euch eure Stimme nicht selbst auf den Geist?

Ich beschränke mich hier auf die Kritik der Stimme, denn der Aufwand wäre zu groß, eine Dialektik auszuarbeiten. Ich hoffe nur, dass Russland jetzt auch mal ein paar Gay-Statuten überarbeitet. Den homoerotischen Putin haben sie ja schon. Aber ganz ehrlich unter der Knute von der russischen Regierung würden hier so einige Mäuschen ganz still sein, auch wenn ich zugebe, dass ich mich immer frage, wie viel die NSA von mir ablauscht. Ich muss ja sogar mit der Sevis-Gebühr für meine eigene Überwachung zahlen.

Ach, aber Russland, wohin steuerst du nur? Ich habe so gerne deinen russischen Klavierkadern gelauscht und deine Schachpartien studiert. Es war alles nur Prestige richtig?

Aus Anlass des Weltkrieg-Gedenkens wurden im Mai auch fünf neue Stalin-Denkmäler in verschiedenen russischen Städten eingeweiht. http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-05/wladimir-putin-bueste-statue-verehrung

Hurra, Putin, deine Politik ist genauso gut wie Stalins. Da fällt mir ein: Ich weiß noch wie meine Kindergartenerzieherin in der DDR mir einst ein Zäpfchen gegen Fieber in den Hintern schob. Wir gingen in einen kleinen Raum und dort hing das Bild unseres großartigen Parteiführers, Erich Honecker. Später dann als ich krank war und ihn im Fernsehen sah, rannte ich schnell in die Küche und sagte meiner Mutter, sie sollte schnell ins Wohnzimmer kommen. Als sie ins Wohnzimmer kam, erklärte ich ihr, dass Erich Honecker im Fernsehen sei. Der wollte ja auch nur das beste für uns. Und wie ist das mit Russland?

Der Präsident wird nicht nur freiwillig verehrt. Gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit im Jahr 2000 verordnete Putin, dass sein Konterfei in Behördenbüros zu hängen habe. In der Privatwirtschaft ist es inzwischen nicht mehr nur eine Frage des guten Geschmacks, es den Behörden gleichzutun. http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-05/wladimir-putin-bueste-statue-verehrung  

Völker werden in der Zwischenzeit zu Brüdern, schließlich ist es für China und Russland wichtig, gemeinsame Militärmanöver im Mittelmeer abzuhalten. Und wer jetzt sagt, die Nato macht das ja auch, der folgt einer irren Logik, denn, was falsch ist, wird nicht dadurch richtig, dass andere es machen. Natürlich wissen sie das, ich weiß. Irgendwie weiß ja jeder alles. Aber die Verbrüderung von Russland und China folgt einer Aufrüstung von Staaten, die durch Kooperation nicht viel zu befürchten hatten. Meine These hierzu ist folgende: Da die Verteilung der Macht auf wenige Reiche in ihren Staaten erfolgen soll, rüsten Staaten auf. Reiche wollen nicht kooperieren und dabei Vermögensanteile an die Demokratie abgeben. Das ist die eigentliche Gefahr für Russland und Russland bleibt eine Oligarchie, auch wenn Putin einigen Milliadären den Hals abgeschnitten hat.

Ich gebe zu: Reichtum will keine Demokratie und natürlich ist das auch ein Problem demokratisch stark limitierter Kaptitalismen  wie hier in Amerika. Aber eins ist für mich klar, das ist kein Kommunismus der gegen das böse Amerika antritt, sondern eine prinzipielle Dynamik, die nicht gut zu heißen ist und da hilft auch kein Putin verstehen. Wenn ich mir dann Meinungsfreiheit, Gefängnissysteme, den Umgang mit Kindern anschaue, dann denke ich, dass wir in der westlichen Welt noch einen Vorsprung an Demokratie haben, auf den ich mich konzentrieren möchte, ihn auszubauen. Ich habe keine Zeit Russland zu verstehen.

Im Weiteren gerät der Krieg zu einem Krieg an allen Fronten, so dass Europa zwischen Überwachung der Amerikaner, dem erotischen Putin (der seine populäre Manneskraft an der Front gegen den Westen stählt) und dem IS bedroht wird, der ja Angriffe über das Mittelmeer auf den weichen Leib Europas plant. Von der inneren Bedrohung einer entfesselten Meinungsdemokratie ganz zu schweigen. Es scheint aber als müsste Deutschland sich damit begnügen für Gerechtigkeit zu streiken, obwohl es internationale Gerechtigkeit noch nicht verstanden hat. Warum aber ist Deutschland und Amerika besser? Ich habe mir tatsächlich eines der Schlächtervideos der IS angeschaut und bin entsetzt wie professionalisiert die Abschlachtung von Menschen dort im Namen einer Religion ästhetisiert wird. Amerika foltert ohne Frage, ob es sind nicht Millionen an Menschen, die in Konzentrationslagern verdampft, ertränkt und enthauptet werden. Natürlich muss auch Amerika sein Demokratieverständnis überarbeiten. Wenn ihr das anführt, dann ist das ohne Frage. Aber Amerika ist entsubstantialisiert eben doch zu Selbstkritik in der Lage. Warum müsst ihr hier zwei schlechte Karten konstant gegeneinander auszuspielen versuchen?

Was passiert derweil in China? Man schüttet Sandburgen im Meer auf, weil Vietnam damit angefangen hat: http://blog.zeit.de/china/2015/05/19/chinas-landgrabbing-im-suedchinesischen-meer/

China glaubt, wer das stärkere Militär hat, der verliert auch kein Gesicht. Und so kann China auch schon mal anmerken, dass sie den internationalen Gerichtshof nicht anerkennen werden, es sei denn er entscheidet sich natürlich für ihre Rechte. Und was sagt der Meinungsmacher neben mir: Internationaler Gerichtshof, das ist doch dieses amerikanische Instrument, das Bush wegen seiner Kriegsverbrechen nicht verurteilt. Wohin fällt euer Nihilismus letztlich, wenn ihr darin nicht auch eine Errungenschaft sehen könnt, die der Kampf für Demokratie gebracht hat? In Demokratien können nicht alle gesellschaftlichen Gebilde von wenigen Entscheidern kontrolliert werden, und darum lehnen autoritäre Regime demokratische Instrumente ab. Der Ausbau bestehender Institutionen ist nicht viel Wert im Hinblick auf den Kindergartenstreit, wer angefangen hat. Stattdessen aber pusht das Internet an harte Meinungsfronten:

Viele deutsche Verdrossene haben ein Jahr der Erweckung hinter sich. Sie haben sich auf Demos kennengelernt und in Facebookgruppen vernetzt. Sie haben sich gegenseitig bestätigt, dass es nicht radikal sei, Schwule für krank zu halten und Muslime für gewalttätig. Im diffusen Milieu der Unzufriedenen hat sich eine handelnde Gruppe der Wütenden herausgebildet. Die AfD, und zwar der nationalkonservative Flügel, hat Zugang zu ihnen. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-05/afd-lucke-ausstieg-weckruf2015/seite-2

Man hat sich bereits auf die richtige Strategie innerhalb Europas geeinigt, nämlich seine Feindbilder zu kultivieren. Es passt zu den Gefahren, die den Horizont Europa umschließen. Und ja dazu gehört auch Putin, aber nicht Russland. Es wird Zeit Festungen zu bauen oder? Die Globalisierung erfährt ihre Grenze in den Meinungsverschiedenheiten, die sich mit der Anzahl der Diskursteilnehmer potenziert. Frigida, Ausländerfeinde aus Freising haben sich dabei bereits im Namen klar definiert: Intellektuell fruchtlos. Aber was sagt der vermeintlich intellektuell Potente dazu, der mir nun vorwirft, dass ich Putin als Feindbild institutiere?

Ich tauge einfach nicht für die reine Lehre. Egal ob Kapitalismus, Sozialismus oder Liberalismus: Ich konnte noch nie etwas mit –Ismen anfangen. Sobald nämlich eine Idee zur Bewegung wird, fordert sie Anpassung. Und das löst ihn mir reflexhaften Widerstand aus. http://www.huffingtonpost.de/2015/04/20/veganer-erziehen_n_7099460.html

Gut hier ist nicht Russland im Kern des Gesprächs, aber die Umlenkung des eigentlich Skandalösen in eine entsubstantialisierte Dialektik ist prekär. Die Frage nach den Ursachen und von gesellschaftlichen Dynamiken ist ein Teil unserer gesellschaftlichen Selbstkritik, aber sie ist in einigen Punkten schlichtweg falsch und täuscht über die Substanz hinweg. Wir sehen in diesem Clickbait-Artikel, der eben nur darauf angelegt ist, Klicks zu erzeigen, dass diese Meinung sogleich zur Ablehnung dessen führt, was pure Ausbeutung des Sein anprangert. Die Ausbeutung der Umwelt durch den Menschen und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Dies sind die wahren Themen, die zusammengehören. Was also haben Veganer mit Meinungen zu tun?

So geht es mir auch mit dem Veganismus. […] Ich bin nur noch genervt von deinen Hühnerhof-Schockvideos. Warum? Du sprichst nicht mit mir. Du brüllst mich nur noch an. Das finde ich nicht nur unhöflich, sondern auch verdammt ignorant. http://www.huffingtonpost.de/2015/04/20/veganer-erziehen_n_7099460.html

Lieber Herr Ignorant, die Welt brüllt, weil das Leid so unglaublich ist.  Wo das Mitgefühl aufhört, dort beginnt dann das großpolitische Gezanke und Theater. Dein -Ismus, vor dem du dich so reflektiert flüchtest, heißt, Nihilismus, und genau dahin führt eine entsubstantialisierte Dynamik von puren Rechtsstaaten, in reines Meinungsgerangel und eine egalen Gleichheit. Und was passiert mit Griechenland morgen? Es werden noch nicht alle Instrumente abgestellt, der komatöse Patient hängt noch am Tropf der EZB. Griechenland wird sich zum Referendum retten und für nach einer Woche mit Schrecken und blauem Auge für das Hilfspaket stimmen. Gut, mit all diesen halben Fragmenten gebe ich zurück nach Deutschland und widme mich wieder meiner Dissertation, um das ganze systematisch auszuarbeiten. Ach und wer noch einen wirklichen, guten Text zum Thema Griechenland lesen will, der sollte sich natürlich nicht mit meiner halben Meinungsmache auseinandersetzen, sondern Habermas studieren:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/europa-sand-im-getriebe-1.2532119

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Norman Schultz

Pittsburgh, Juni 2015

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Ist Kunst Kunst? Alfred Eisleben zur Dialektik der Kunst zwischen Materie und Form (Teil 1)

Da Vinci Vitruve Luc Viatour Norman Schultz: Was ist Kunst?

Alfred Eisleben: Gegenfrage: Ist Kunst Kunst?

Norman Schultz: Womöglich ist die Frage falsch gestellt und sie wollen darauf verweisen das Kunst kein Ding unter Dingen ist?

Alfred Eisleben: Vielleicht ist es das nicht. Ist Kunst daher ein Strom, etwas Wandelndes, etwas Elektrifizierendes, eine Euphorie, die im Medium des Fleisches und Datenpaketen die Welt umspannt? Ein Schleier, der Wirklichkeiten umhüllt? Ist Kunst ein Formwandler, etwas, das von Körper zu Körper springt, ein Virus, der sich Leben in Körpern sucht, etwas, das nutzlos für uns ist, so nutzlos wie das Sternfeuer oder so nutzlos wie Existenz, nämlich etwas, das einfach nur ist? Ist Kunst vielleicht einfach nur ein Potenzial in den Dingen, das zur reinen Aktualität verführt? Nichts anderes an den Dingen zeigt als ihr Sein? Ich meine, nacktes Sein ohne alle Zusätze, ein Fenster aus dem Universum heraus, in ein anderes weniger effizientes Sein? Ein Fenster aus dem Universum der Dinge heraus, in bloßes, reines Sein?

Norman Schultz: Sie schreiben, dass Kunst über die Materialien hinausgehe, dass es nicht direkte Eigenschaft des Materie ist. Das würde sich decken mit Ihrer Andeutung, dass Kunst nur Sein ist.

Alfred Eisleben: Nein, so konkret würde ich das nicht behaupten. Für mich ist der Streit der Autoritäten auf diesem Gebiet nicht so eindeutig geklärt. Sie wissen, der Streit zwischen diesen Berghallenkönigen, Aristoteles und Platon.

Norman Schultz: Ich kann mir denken, was Sie meinen, aber bitte führen Sie aus.

Alfred Eisleben: Ach, es ist einfach die Frage, wie wir eine Befreiung von den Materialzwängen erreichen. Damit meine ich, ob ein Gedanke ohne Material möglich ist, ob so etwas wie reines Sein sein kann. Für Platon waren die Dinge zum Beispiel immer noch ein zweites mal als Dinge-an-sich gegeben. In diesem Sinne sahen wir die Dinge immer durch den Seinsverstärker des Ideals. Der Mensch war nur eine schlechte Kopie vom Menschen-an-sich so wie jedes Ding irgendwie immer nur eine schlechte Kopie war von dem, was da an-sich war. Da war es schon schwer positiv zu bleiben und an regnerischen Tagen im Diesseits musste der Königsphilosoph vom Reich der Seelen träumen. Er träumte von einem wahren, ewigen Jenseits, wo wir noch wirklichen Hunden, wirklichen Menschen, wirklicher Kunst begegnen würden.

Norman Schultz: Aus diesem Grunde nennen wir ja Platon auch einen Idealisten. Er meinte, dass anders Erkenntnis nicht zu erklären wäre.

Alfred Eisleben: Richtig, für Aristoteles aber stand bei dieser Weltentheorie zuviel über. Eine Verdoppelung der Welt im Ideal konnte er nicht akzeptieren, da wir nicht erklären konnten, wie denn die realen Dinge, in diesen Dingen an sich partizipieren. Die Dinge waren nicht Teilhaber an etwas besserem. Er meinte daher, dass wir viel eher die Formen von den Dingen abschürfen. Diese Dinge sind irgendwie ein Amalgam aus Material und Form. Unsere Perspektive aber würde sie nach verschiedenen Gründen sortieren. Einmal würden wir die Dinge als Materie sehen, dann wieder als Form. Für Aristoteles war aber im Material immer schon etwas Geistiges enthalten, so wie im Geistigen immer etwas Materie. Beides waren nur Weisen wie vom Sein in mannigfaltiger Bedeutung sprachen. Wir erstellen sozusagen billige Kopien von den wirklichen Dingen, wobei etwas von den Dingen in unseren Kopien enthalten ist, andernfalls wäre es ja keine Kopie.

Norman Schultz: Das heißt also für Plato war die Welt schlicht, während über ihr das Reich der wirklichen Wirklichkeit thronte.

Alfred Eisleben: Ja, für Platon war unsere Welt immer nur eine plumpe Version von dem, was wir erreichen können, während Aristoteles uns eher als Formenabstrahierer sah. Das heißt wir haben die Formen irgendwie aus den Dingen herausgesaugt. Aber das Thema ist natürlich komplizierter. Auch meine Zwei-Welten-Interpretation von Platon ist schief. Die Frage jedoch bleibt, woher kommt die Kunst? Aus dem Ding wie bei Aristoteles oder aus einem, inneren Genie, das wir innerlich spüren und das schon immer Kontakt zum Besseren, zum inneren Licht hatte?

Norman Schultz: Mit Aristoteles könnten wir sagen, dass sich die Kunst in ihrer heutigen Profession nur entwickeln konnte, weil nach und nach die Materialien günstiger wurden. In diesem Sinne hätten wir die Kunst vom Material abgewonnen.

Alfred Eisleben: Ja, das ist eine simple These im Hinblick auf die Entwicklung der Kunst. Halten wir jedoch zunächst fest: Kunst erlaubt sich weniger Materialschlachten als Kriege, ist aber dennoch eine eigenartige Maschine, die Materialien bedarf. Nur schauen Sie! Es ist nicht so, dass Kunst allein vom Material profitiert. Es geht bei Kunst wenig um Profit, auch weil die Kunst nur gering auf Gesellschaften einwirkt und wenn dann in so langen Zeitzyklen, so dass schließlich eine Kosten-Nutzen-Kalkulation abwegig ist. Niemand investiert in Kunst, weil sie Kriege gewinnt. Kunst hat keine konkreten Effekte. Niemand veröffentlicht sein Gemälde und die Gesellschaft erfährt einen grundsätzlichen Wandel. Weil Kunst also so minimal in ihrem konkreten Nutzen war, verblieb sie oftmals ein Nebenprodukt von Gesellschaften, die Überschüsse zuließen. Dann aber können wir davon sprechen, dass Kunst Material zur Verfügung gestellt wurde, das anders nicht benötigt wurde. Dass ein Fortschreiten in der Materialialgewinnung ein Fortschreiten in der Kunst bedeutete, tritt also womöglich nur korrelativ auf, ist aber nicht kausal. Ich könnte also ebenso durch die Überschussproduktion Kunst erklären. Plötzlich waren da diese Energien.

Norman Schultz: Welche Überschussenergien sind das also für Kunst?

Alfred Eisleben: Kunst ragt aus Gesellschaften über die Zeit hinaus. Das Tierreich der Vergangenheit hinterließ uns wenig. Ihre Knochen kommunizieren mit uns nur sehr beschränkt und wir sind eher beeindruckt von dem Formenreichtum der Geschöpfe und bauen ein paar Evolutionstheorien daraus. Von den Pflanzen verheizen wir die Reste pragmatisch. Kunst aber erzählt uns von einer höheren Geschichte in uns. Die Vergangenheit redet hier mit uns in der Sprache der Ewigkeit. Wobei wir hier nicht profitieren, sondern gar investieren, um diese Geschichte als Sinnbild der Menschheit zu erhalten. Es geht um eine Menschheit, die sich sich Überfluss erlaubt, weil sie nur darin Ewigkeit an sich entdeckt. Dieser Überschuss wird daher nicht in die Atmosphäre verprasst, sondern als Andenken erhalten. Die primäre Überschussenergie ist dabei Zeit. Wir haben Zeit, weil wir glauben, dass die wesentlichen Gefahren gebannt sind. Stellen wir uns auf Kunst ein, so steht die Welt still und ist einfach nur Welt.

Norman Schultz: Okay, aber warum wollen wir in unserer verbleibenden Zeit dann diese Vergangenheit erhalten, warum wollen wir in der Kunst sein?

Alfred Eisleben: Weil sie die Welt aus ihrem nackten Dasein in die Geschichtlichkeit des Menschen emporhebt. Damit meine ich nicht, die geschichtliche Entwicklung, sondern das Sein im Moment, der zur Ewigkeit wird, also keinen körperlicher Akt, der bald schon in Erinnerung verblasst. Wir hoffen an der Ewigkeit teilzuhaben. Diese Kunst aber ebenso wie Ethik kostet. Die gibt es nicht zum Nulltarif und beide, Ethik und Kunst, sind in diesem Sinne nicht profitabel. Aus diesem Grund wirkt Kunst ebenso bedrohlich für streng gezügelte Systeme. Kunst konkuriert mit instrumentalisierten, angeblichen Ewigkeitssprachen. Die Kunst, die sich aus Kausalzwängen des Nutzen befreit steht für Freiheit und diese Freiheit geht nicht überein mit dem Korsett der Fundamentalisten, die Macht akkumulieren wollen. Fundamentalisten missbrauchen das Transzendente. Sie verpacken das Leben lieber in seinen biologischen Funktionen angereichert mit ein wenig religiöser Praxis und sie akzeptieren keine Sphäre, die über die eigenen Horizonte hinausgehen könnte. So wie es neben ihrem Gott keine Götter geben darf, so darf es ebenso keine anderen Kulturen neben der Kultur geben.

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Zum zweiten Teil des Gesprächs geht es hier.

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Ist Kunst Kunst? Alfred Eisleben zur Dialektik der Kunst zwischen Materie und Form (Teil 2)

Da Vinci Vitruve Luc ViatourNorman Schultz: Wir fürchten dabei das Rohe, Kunstlose in den Religionen. (Fortsetzung des ersten Teils)

Alfred Eisleben: Das große Schweigen, das sich über die westlichen Medien legt, feiern bestimmte Religionsführer als Erfolg ihres Gottes. Ein großer Gott aber sollte doch mit Gelassenheit reagieren, wenn Menschen endliche Pläne machen und mit Endlichkeit in Unendlichkeit teilhaben wollen. Ohnehin wie könnte ein Mensch einen Gott verhöhnen? Ein großer Gott verbietet keine Wochenendausflüge ins Jenseits, die uns die Kunst erlaubt. Diese Ausflüge ins Jenseits, sind vielleicht mit den Sternwarten vergleichbar, die gerade mal einen Blick von der Unendlichkeit des Universums erhalten. Überhaupt: Wenn Gott unendlich ist,  dann sind die Endlichkeitsspiele, die wir in unseren Gesellschaften erfinden, ohnehin nicht vergleichbar, denn im Unendlichen ist jede endliche Größe, und sei sie noch so groß, unendlich klein.

Norman Schultz: Versuchen wir aber doch beim Thema zu bleiben. Was bedarf Kunst?

Alfred Eisleben: Zeit ist eine Ressource, die sich, wenn sie vorhanden ist, in Kreativität wie ein Gewitter entlädt. Erreichen Gesellschaften ein Gemütlichkeitsniveau werden Überschussenergien wie eben Freizeit reinvestiert und zwar in zwei Arten von Sinnlosigkeit: Kunst und Hobbies. Gibt es diese Frei-Zeit nicht, wird das Leben ein reiner Mechanismus. In diesem Sinne unterscheiden wir Menschen uns dann nicht von einem Vulkanausbruch, einem Erdbeben oder einem Meteoriteneinschlag. Wir sind dann Naturgewalten, die wie sich einst das Meer über die Erde legte eben mit ihrem Fleisch an den Planeten schmiegen und ihn wie Naturgewalten langsam verwittern lassen. Gibt es jedoch Kunst, so wird das Leben und das Umfeld sanft, sinnvoller. Kunst erfüllt in diesem Sinne keinen Sinn selbst und ist der reine Gegensatz zur kriegerischen oder roh-religiösen Verwaltung der Welt. Sie ist sinnlos und darin besteht ein Sinn. Ihre Sinnlosigkeit setzt nicht auf Material oder Verbrauch, sondern auf Erhalt.

Norman Schultz: Wie meinen sie das Kunst sanft macht?

Alfred Eisleben: Wir könnten wohl noch am ehesten von den Umweltaktivisten als Künstler sprechen. Sie haben ein Interesse daran, etwas zu bewahren, das keinen direkten Profit bringt. Zudem müssen wir auch sagen, dass wer ewige Wahrheiten will, sich auch noch am ehesten um die Vergänglichkeit der Welt sorgen muss. Wer in seiner Kunst Ewigkeit finden will, sollte dieser nicht genauso um die Ewigkeit der Welt bemüht sein?

Norman Schultz: Aber Welt ist materiell und sind nicht auch Materialien immer treibende Kraft der Kunst gewesen? Materieller Fortschritt hat mehr Entfaltungsmöglichkeiten gebracht.

Alfred Eisleben: Wie gesagt, ich bin mir da nicht ganz so sicher. Selbstverständlich, wer sich nicht dem Material zuwendet, der findet keine Nähe in der Kunst. Derjenige bleibt abstrakt im Gedankenpalast zurück. Ohne Materie sind die Dinge nicht wirklich, aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die Dinge materiell sind. Wir können mit dem geringsten Aufwand Kunst produzieren. Hier ein paar Beispiele: Höhlenmaler hatten nicht viele Farben zur Auswahl. In diesem Sinne stand den Höhlengenies nur eine beschränkte Gestaltungsdimension zur Verfügung. Doch Gestaltungsdimensionen des Materials sind mit grenzenloser Virtuosität überschreitbar. Nehmen sie die Salzmalerei, die die Perspektivität der Ebene mit dem simpelsten Material ergründet.

Heutzutage wird mit allem gemalt. Im amerikanischen Bürgerkrieg diente Kaffee, der andere malt mit Ketchup, wieder ein anderer glaubte sich ganz existentialistisch zu kennen und musste sein Blut nehmen. Mit der Tinte unter der Haut und dem Herz auf der Stirn, so verkehrte Hugo Ball noch die Dimensionen des Materiellen. Aber schauen wir weiter: Es sind nicht nur die Materialien: Die Merzbauten eines Kurt Schwitters, all diese Dadaisten, die die Überbleibsel einer beginnenden Konsumgesellschaft verarbeiteten. Das war die Vorlage zur Recycle-Kunst, einer Idee, das Materialien nicht einfach auf Müllhalden verschwinden sollten, sondern ihren Wert als Teil der Materie behalten. Dieser Wert kam aber nicht von der Materie. Dann zupfen andere wieder auf Seiten und erzeugen Geräusche. Die Musik aber entsteht dabei nicht im Instrument, sondern in uns. Am eindrucksvollsten ist dann aber die Reduktion auf kleinste Graphithügeleien oder digitale Rechenpakete, Poetik und Twitter nutzen ein Minimum an Material, aber niemals ist das Material allein da, sondern es ist eindrucksvoll kontextualisiert und sei es durch unseren biologischen Mechanismus, der wir sind.

Für mich ist überraschend, dass feiner Sand ein Medium ist, dass die Tiefe aller Perspektiven zulässt. Den Sand aber dürfte es auch schon zu anderen Zeiten gegeben haben. Daher kann es sein, dass auch die Höhlenmaler schon zu einigen perspektivischen Leistungen in der Lage waren. Die Materialsteigerung war also nicht alleiniger Grund für das Kunstvermögen. Auf dern anderen Seite zeigen uns die Malereien des Mittelalters, die ja nun mehr Materialien zur Verfügung hatten, dass simple Methoden, die selbst 16 Jährige heute schon beherrschen, erst entdeckt werden mussten und nicht das Material ausschlaggebend war, sondern die Geschichte der Menschen. Wir erweitern unsere Grenzen des Geistes und nicht das Material gibt uns die Möglichkeit zu ferneren Grenzen vorzudringen, sondern unser Verhältnis zur Geschichte des Geistes im Einklang mit verschiedenen Materialien. Nur wer seine Geschichte dann im Material bewahrt, entwickelt sich weiter! Deswegen nochmal: Es geht um Ewigkeit.

Norman Schultz: Sie widersprechen also Aristoteles, dass wir die Formen aus den Dingen gewinnen?

Alfred Eisleben: Nein, das tue ich nicht. Aber die Frage ist, wann wir sie aus den Dingen abgewinnen. Dies ist eine geschichtliche Frage und es passiert nicht einfach so.

Norman Schultz: Was also hat die Grenzen der Malerei erweitert?

Alfred Eisleben: Ja, das sind Fragen! Wie ist es dem Menschen möglich über seine physische Umwelt, die vorrangig aus begrenzten Ressourcen und Materialen besteht, hinauszukommen? Offensichtlich begrenzt das Material nicht absolut. Es begrenzt relativ zu unserer geschichtlichen Entwicklung. Warum also sind Künstler heute zu so vielem in der Lage? Ist es vielleicht die neue Auswahl an Talenten bei Milliarden von Menschen? Oder katapultieren wir uns in eine sich unendlich überbietende Kultur, die einfach aus der ständigen Aufbietung von neuen Memen besteht? Den Einwand, dass sich die großen Genies der Steinzeit uns nicht überliefert haben, glaube ich nicht, denn auch die Meister des Mittelalters zeichneten noch eindimensional. Ich glaube, wir haben tatsächlich eine geschichtliche Entwicklung durchgemacht.

Norman Schultz: Der These würden viele widersprechen angesichts der Zunahme von Kriegen.

Alfred Eisleben: Das möchte ich auch überhaupt nicht verneinen. Aber mit dem ungeheuren Potenzial der Selbstvernichtung ist zugleich das ungeheure Potenzial der Selbstbewahrung gewachsen. Es bleibt nach wie vor eine Wahl zwischen Gutem und Bösem.

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Norman Schultz

Pittsburgh, Mai 2015

Veröffentlicht unter Grenzen der Philosophie | 1 Kommentar

Gottesbeweis: Gott als systematische Notwendigkeit um Kausalität und Freiheit zu verstehen – Im Gespräch mit Alfred Eisleben zu Thomas von Aquin

Bonifacio de Pitati - God the Father over the Piazza San Marco - WGA02420Norman Schultz: Was halten Sie von Thomas von Aquin?

Alfred Eisleben: Aquin ist ein Systematisierer, dessen Wortgebrauch klar ist wie Wasser. Das Gebäude, dass er aus Worten errichtet hat, besitzt eine äußergewöhnliche Architektur. Sie erscheint mir so unglaublich stabil, so durchsichtig und verständlich. Darüber hinaus ist es auch nicht so, dass Aquin nur seine eigenen Argumente vortragen würde, sondern er hat jeder Position eine gewisse Plausibilität zugerechnet, sich nicht gegen blasse Puppen verteidigt, sondern die Gegenpositionen stets als bestmöglichen Gegner aufgebaut. Es ist schade, dass wir im Unterricht diesem Denken keinen Rang mehr einordnen. Wenn wir in der Schule noch nach den mittelalterlichen Riten verfahren würden, wo am Nachmittag sich die Studierenden trafen, um Argumente zu konstruieren, die sie dann später mit dem Professor zusammen vortrugen, dann würden wir dialektisches Denken trainieren und endlich wesentliche Prozesse unserer Geschichte verstehen.

Norman Schultz: Glauben Sie, dass der Schulunterricht von diesem Denken profitieren würde?

Alfred Eisleben: Ich wüsste nicht, warum Schüler dazu nicht in der Lage sein sollte. Jedes Stückchen Denken enthält immer nur wieder den selben deduktiven oder induktiven Schluss. Das hat wenig mit Intelligenz zu tun, sondern eher etwas mit Kondition. Der Mensch hat nicht Häuser gebaut, weil er besonders intelligent war, sondern auch weil er erkannte, was tägliche Arbeit bedeutet. Bei Schülern mag Konzentration noch nicht herhalten. Da kenne ich mich zu wenig aus, aber die Philosophie bewahrt in sich kein Geheimnis, das anderen nicht zugänglich wäre. Sie setzt sich zusammen aus kritischem Denken und langfristigem Atem. Dabei geht es natürlich um Systematizität wie Sie ja kürzlich auch in Ihrer Dissertation zeigen. Entgegen also mystischen Positionen, dass uns nachts das Wissen in den Schoss fällt, formuliert auch Thomas seine Thesen.
Norman Schultz: Dann würde ich sagen, beginnen wir uns die Stücke der Questiones zu erarbeiten: Wissen wir dass es einen Gott gibt?

Alfred Eisleben: Nun, es gab zu Zeiten von Thomas viele, die glaubten, dass ein verbohrter Atheist nur geistig verwirrt ist. Gott war ja nicht nur ein Mann mit weißem Bart, sondern war viel eher als der systematische Grund zu bezeichnen, warum wir Wahrheit und das Gute haben. Für viele ist das heute nicht mehr verständlich. Deswegen sollten wir uns zunächst klar sein, dass wir keine Kausalität haben, ohne indirekt den Freiheitsbegriff anzunehmen. Der Freiheitsbegriff ist dann schon sehr nah, an dem Gottverständnis von damals.

Alfred Eisleben: Ja, das ist richtig. Das ist das Grundgesetz unseres kausalen Verständnisses von der Welt. Stellten wir uns eine Sache vor, die keinen Grund hätte, dann wäre es ein Effekt, der in der Welt, wie ein Wunder auftreten würde. Nein, wir wollen schon Begründung haben, zumindest in unserem kausal-deterministischen Modell. Der Determinismus macht aber einen entscheidenden Fehler.

God belief reasons de

Es sind wohl kaum Menschen zu finden, die aus systematischen Gründen, Gott annehmen. Eine Position, die leider selten verstanden wird. By Magenspülung (Own work)


Norman Schultz: Sie meinen, dass er nicht erkennt, dass wir für Kausalität auch immer Freiheit annehmen müssen?

Alfred Eisleben: Ich behaupte nicht, dass es beide gibt, aber wenn ich „Kausalität“ sage, so sage ich interessanter Weise auch „Freiheit“.

Gentile da Fabriano 052

Aquinas war ein Systematisierer, dessen Kenntnisse tief in die Tradition hinabreichten, der zugleich aber auch die Gedanken seiner Gegenwart bündelte

Norman Schultz: Lassen sie uns das näher betrachten!

Alfred Eisleben: Es gibt zwei Möglichkeiten, das Kausalitätsmodel auf die Spitze zu treiben. Beginnen wir mit der einfachen Variante.

Erstens) Nehmen wir an, alles was ist, hat einen Grund, so gehen wir in die Vergangenheit zurück. Wenn wir nun aber sagen, dass das Universum ja begonnen haben muss, so würden wir dafür einen Grund annehmen. Nun kann es aber in der Folge nicht sein, dass der Grund für das Universum einen Grund hatte, denn dann wäre das ja eine von unserem Universum verschiedene Kausalitätskette. Daher nehmen wir an, dass dieser erste Grund ein besonderer Grund war, der selbst keinen Grund benötigte. Schon jetzt aber verletzen wir unserer Kausalitätsgesetz, dass wir ja zuvor für unser Realiätsverständnis zu Grund gelegt haben, nämlich dass alles einen Grund hat. Wir haben nun einen besonderen Grund und diesen besonderen Grund können wir auch als Grund ohne Grund bezeichnen, was unserem Freiheitsverständnis sehr nah kommt. Freiheit ist nämlich etwas, dass ohne Grund passiert. Das ist aber erstmal nicht so wichtig, wichtiger ist, dass wir unseren Determinismus nicht durchhalten.

Norman Schultz: Wenn das Universum also einen ersten Grund hätte, dann müsste dies ein freier Grund sein, dass heißt, es gäbe für diesen Grund keine weiteren Gründe. Wir könnten doch aber sagen, dass es das Universum schon ewig gab.

Alfred Eisleben: Ja, das ist richtig und hier steigen wir nun wirklich tief in die Metaphysik ein. Nehmen wir ein unendliches Universum an, so scheint unserer Prinzip der Kausalität gelten zu können. Es erscheint so. Dies ist der zweite Fall, den ich unterscheiden wollen. Aber machen wir folgendes Gedankenexperiment: Stellen wir uns einen Zug mit unendlichen Waggons vor. Sagen wir er wird getrieben von einer Lokomotive. Diese Lokomotive gibt es natürlich nicht, weil wir ja unendlich in die Zeit zurück gehen dürfen. Nun stehen wir also vor den Waggons und dann, sie beginnen sich zu bewegen. Was aber ist der Grund dafür? Wir wissen, dass jeder Waggon von seinem vorherigen Waggon angetrieben wird und so gehen wir auch unendlich in die Zeit zurück.

Norman Schultz: Dann aber gibt es keinen Grund, warum sich die Waggons überhaupt bewegen. Kommen wir also zum unbewegten Beweger?

Alfred Eisleben: Lassen wir das hier mit dem unbewegten Beweger erstmal. Die meisten Menschen lehnen ja die Einführung solcher Begriffe prinzipiell ab, ohne jedoch zu verstehen, welche konzeptionelle Notwendigkeit dahinter steckt. Bei den Waggons allerdings ist es so, dass auch wenn wir keinen ersten Grund annehmen, so sagen wir, dass jeder Waggon durch den Waggon zuvor bewegt wird. Die Analogie zu unserer Kausalität ist klar. Wir denken Gleiches bei einer unendlichen Kett von Gründen. Jeder Grund hat einen spezifischen anderen Grund, der ihm vorausgeht. Das vorausgehende Grund heißt dann übrigens akzidentieller Grund. Es ist akzidentiell, weil er nur zufällig diesen Abschnitt der Bewegung erklärt, aber nicht, warum sich das alles bewegt.

Norman Schultz: Nun, dass mit akzidentiellen Gründen ist hier womöglich verwirrend, aber ich gehe davon aus, dass sie auf einen notwendigen Grund, einen Grund per se schlussfolgern wollen?

Alfred Eisleben: Ja, das ist richtig. Ich meine Waggons, die sich unendlich anschieben? Wir wollen doch dann wissen, warum bewegt sich das Ganze überhaupt? Genauso verhält es sich bei den Gründen. Es kann zwar ewig akzidentielle Gründe geben, aber wir möchten doch wissen, warum sich das Ganze überhaupt bewegt. In anderen Worten ist das auch die berühmte Frage: Warum ist eigentlich Sein und nicht vielmehr Nichts? Wir stellen die Frage, welchen Grund die Annahme, dass alles was ist, einen Grund hat. Um dieses zu erklären, müssen wir nun auch einen besonderen Grund annehmen, der selbst keinen Grund hat.

Norman Schultz: Das verstehe ich nicht: Warum können wir hier nicht sagen, dass auch die Prinzipien unendliche Gründe haben?

Wise Old Man (5719871205)

Im Gespräch mit Alfred Eisleben: Picture by Helgi Halldórsson from Reykjavík, Iceland CC-BY-SA-2.0

Alfred Eisleben: Weil wir dann auf gleiche Problem stoßen würden, wir hätten in alle Richtungen unendliche Waggons. Wir würden aber nie wissen, warum sich die Waggons überhaupt bewegen. Was also ist der Grund für Bewegungen oder besser: Was ist der Grund für Gründe?

Norman Schultz: Das heißt also dieser besondere Grund, wäre auch wieder ein Grund, der selbst keinen Grund haben könnte und das bezeichneten sie ja zuvor als Freiheit.

Alfred Eisleben: Das ist richtig. Und da wir nun beide Positionen, nämlich dass die Kette der Gründe einen ersten Grund hat und dass die Kette der akzidentiellen Gründe unendlich ist, untersucht haben, so sehen wir, dass wenn wir den Begriff der Kausalität denken, einen bestimmten Begriff der Freiheit immer mitdenken.

Norman Schultz: Das heißt also, es kann keinen konsequenten Deterministen geben.

Alfred Eisleben: Ja, ich befürchte, dass ist der Fall. Der Determinismus erscheint logisch nicht ganz aufzugehen. Stattdessen müssen wir zwei Modelle für Weltbeschreibung annehmen: Erstens, das Prinzip des Grundes, dass alles, was ist, einen Grund hat (Kausalität) und zweitens, einen besonderen Grund, der selbst keinen Grund hat, Freiheit.

Norman Schultz: Freiheit und Kausalität widersprechen sich aber oder nicht?

Alfred Eisleben: Doch sie widersprechen sich. Deswegen möchte ich nicht sagen, dass sie beide absolute Realität sind. Konzeptionell lösen wir dieses durch den Gottesbegriff, indem wir sagen, dass Gott die Idee aller Gegenstände des Denkens überhaupt ist. Hiermit sind wir dann in der systematischen Auffassung von Welt, wo die Idee Gottes, keinen anderen Grund hat, als unser widersprüchliches Denken als dennoch möglich zu charakterisieren. Wir können uns selbst als determinierter Körper sehen oder als freier Geist, der einen Leib hat. Dieser Widerspruch lässt sich in einer höheren Idee vielleicht lösen, einer Idee, die weder frei noch kausal ist, sondern als transzendentaler Grund angenommen wird.

Norman Schultz: Da mischen sie jetzt aber Kants Kritik der Urteilskraft mit rein.

Alfred Eisleben: Das stimmt bei Thomas von Aquinas verhält sich das ein bisschen anders. Mit all dem Gesagten wollte ich jedoch nur darauf verweisen, dass Aquinas den Gottesbegriff in einem gewissen Sinne systematischer auffasst, als die meisten Atheisten es sich vorstellen. Und diese Systematik müssen wir zunächst akzeptieren.

 

 

Norman Schultz: Das setzen wir, wann anders fort.

Vielen Dank für das Gespräch

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Norman Schultz

Pittsburgh, Mai 2015

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Alfred Eisleben: Der Mensch als Behinderter und der Behinderte als Mensch – Zum Selbstverständnis einer Spezies

Claustrophobia by Nina Valetova

Durch die Welt zur Normalität (Behinderung und Philosophie)

Wise Old Man (5719871205)

Im Gespräch mit Alfred Eisleben: Picture by Helgi Halldórsson from Reykjavík, Iceland CC-BY-SA-2.0

Der Deutsche, Alfred Eisleben, lebt in seinem freigewählten Exil in Island. Nach dem zweiten Weltkrieg hat es ihn aus Deutschland fortgetrieben. Als Winterprofessor an der Carlson University (Pittsburgh) hat er mir ein weiteres Interview zum Thema Behinderung gegeben.

 

Norman Schultz: Sie sprechen vom Krüppel. Ist dies nicht politisch inkorrekt?

Alfred Eisleben schmunzelt: Ein Schimpfwort? Wie kann es sein, dass die Benachteiligung eines Menschen sich zu einer Beschimpfung umformen konnte? Erleben wir nicht dieselbe Verformung gegenwärtig auf Schulhöfen bei dem Wort „Opfer“. Es ist doch mittlerweile so, dass Menschen, die schwere Überfälle oder Missbräuche erlebt haben, diesen Begriff ungern benutzen. Es sind heutzutage Betroffene. Ähnlich verhält es sich beim Krüppel, er wurde zum Behinderten, bald zum Andersbegabten, mal als Sorgenkind bezeichnet und von einer nicht genannten Organisation zwangsläufig zum Menschen (und zwar in einer Aktion) umgetauft (Der gesamte Ansatz ähnelt stark den Prämissen, die Peter Sloterdijk präsentiert: vgl. Sloterdijk. Du musst dein Leben ändern 2008).

Norman Schultz: Aber warum betrachten wir die Behinderung mit so starker Negativität? Wird dies den Behinderten eigentlich gerecht?

Alfred Eisleben: Es ist keine Diskriminierung, wenn wir von Krüppeln reden! Es ist keine Diskriminierung, weil die Bezeichnung nicht notwendig normgebunden ist, das heißt, sich an gegenwärtigen Standards der Gesellschaft orientiert. Es ist so wie der Schwule „schwul“ ist. Es gibt jedoch noch einen anderen, viel wichtigeren Grund, warum es keine Diskriminierung ist.

Norman Schultz: Ich weiß, worauf sie hinaus wollen: weil wir alle Krüppel sind.

Alfred Eisleben: Richtig, diese Sichtweise der Gleichheit im Hinblick auf unsere Verkrüppelung bildet sich nämlich genau dann heraus, wenn wir den Vergleichspunkt erhöhen. Wieso sollten uns gerade zwei Arme und Beine ermöglichen, um Höheres zu spielen? Wenn wir die Welt in ihrem Sinn durchforschen, so sind alle unsere Gedanken ähnlich bescheiden, egal ob von Menschen mit Armen und Beinen oder vom „Krüppel“.

Norman Schultz: Können Sie dies näher erläutern. Ein Beigeschmack verbleibt irgendwie, wenn sie „Krüppel“ sagen, ähnlich wie beim Wort „Schwarzer“, „Farbiger“, „Afroamerikaner“ oder was uns da für Worte einfallen.

Alfred Eisleben: Diese Worte verlieren nur in einer Hinsicht an Bedeutung. Eine Verbannung erhöht ihren Wert. Ein verbotenes Wort ist immer ein böses Wort. Wenn wir sie jedoch so häufig verwenden, dass sich ihr Bedeutungshorizont verändert, dann kommen wir in einer gleichen Welt an.

Norman Schultz: Nun, das ist eine These, können Sie dies vielleicht an einem Beispiel fest machen?

Alfred Eisleben: Hellen Keller, taublinde Philosophin, muss ich beinah als Kurriousum erwähnen, aber es sollte doch eine Alltäglichkeit sein, dass körperlich Behinderte sich genau in den Bereichen engagieren, die immer offen bleiben. Philosophie ist nicht die Wissenschaft der Gesunden und so müssen wir eine Welt ansteuern, in der es nicht speziell Berufe für Behinderte gibt. Behindertenwerkstätten mögen ihren Sinn erfüllen und Menschen einen geregelten Arbeitstag geben, aber es reintegriert in Beschäftigungsfelder, die nicht unbedingt den Behinderten als Menschen gerecht werden. Wir gestatten den Menschen dort nicht einmal den Mindestlohn. Grund genug sich zu empören.

Norman Schultz: Aber Menschen ohne Behinderung können doch bestimmte Tätigkeiten besser ausführen.

Alfred Eisleben: Natürlich das stimmt! Menschen ohne Behinderung haben gesellschaftlich bessere Chancen.  Es ist hier die Aufgabe eines Staates für Ausgleich zu sorgen. Müssen Behinderte aber gesellschaftlich auf ihre Behinderung reduziert bleiben? Wir sollten eher die Felder erforschen, wo sie es nicht sind. Natürlich ist es bei den Behinderten (Krüppeln) oftmals der Kampf um Normalität, das heißt ein Leben wie die anderen führen zu können. Während wir meinen, um das Höhere zu ringen, wollen sie erst auf das Plateau der Normalität. Dabei sind sie jedoch schon normal. Ihr denken zieht die Grenze ihres Körpers; sie messen sich mit Körperkonturen an der Welt. Doch die Schablonen der Körper können keine Grenze sein für die einzige Befreiung. Nur eine Philosophie nach innen kann von diesem Unsinn der Körper befreien.

Norman Schultz: Sie meinen also, dass hier eine prinzipiell andere Philosophie wirken soll?

Alfred Eisleben: Ja, ich halte die Einstellung eines Kampfes um Normalität für falsch, wenn auch gesellschaftlich für notwendig. Es muss jedoch allein zum Resultat haben, dass wir nicht alle gleich sind, sondern durch unsere Beschränkungen normal werden. Zwar muss der Staat Behinderten ihr Leben erleichtern, aber es darf nicht ihr Kampf sein. Der Kampf um die Normalität verhindert die Zeit für die Kämpfe um die Kunst und die Philosophie des Lebens, die den anders Behinderten bereits frei stehen. Auch Krüppel sind mit uns auf Augenhöhe bei denselben Fragen um das Leben. Nur dort haben Behinderte und „Unbehinderte“ die gleiche Fallhöhe. Es bleibt die Frage, was ist eigentlich eine Behinderung? Ist der Wirtschaftsingenieur, der sein Leben an der Börse mit ethisch bedenklichen Derivaten verdient nicht viel stärker behindert und zwar in seinem Denken als der, der mit seinem Körper hadert? Stattdessen bewundern wir Menschen, die sich in unsere nutzlose Normalität der Ungerechtigkeit zurückkämpfen, auch wenn dies keineswegs ein Vorwurf an den Behinderten ist, sondern ein Vorwurf an die Bewunderer:

Norman Schultz: Ich verstehe nicht genau, warum sie die Geschichte, derer, die sich zurückkämpfen kritisieren.

Alfred Eisleben: Wir feiern die Erfolgsgeschichte eines Menschen, der sich die Normalität erkämpft. Ungeachtet der ungeheuren Lebensleistung ist damit aber für eine Philosophie nicht viel gewonnen. Sollen wir jetzt etwa schätzen, dass wir schließlich Arme und Beine hätten und uns daher nicht beschweren über das, was das Leben aus uns macht? Ist die Bewunderung dann nicht eine geheuchelte, wenn wir es mit dem Blick auf unsere angebliche Mehrwertigkeit tun? Eine Bewunderung aus Überlegenheit? So als stünden wir auf einem Berggipfel und laben uns daran wie andere zu uns hinaufkrackseln? Wenn wir Nick Vujciic dafür schätzen, dass er sich einen Platz neben uns erkämpft hat, dann schätzen wir ihn nicht wirklich. Aber Nick Vujicic kann mehr als andere. Er erschließt sich neben dem Alltag die Felder, die für ein Menschenleben angemessen sind: Die Frage nach dem Geist, der Kunst, die Frage nach dem Ganzen, nach der Philosophie. Damit ist er bei weitem sogar mehr als wir mit Armen und Beinen sind und das ist Punkt, worauf es ankommt. Die zukünftigen Behinderungen bestehen nicht im Körper, sondern in Einstellungen.

Norman Schultz: Der Behinderte ist also prinzipiell näher am wahren Seinsgesetz?

Alfred Eisleben: So absurd es klingt, der Behinderte ist weiter als der anders Behinderte, denn erweitern wir nur den Standpunkt unserer Erfahrung um die Möglichkeit einer höheren, besser ausgestatteten Existenz, so erfahren wir uns selbst als Kränkung: Ein Menschengeschlecht, das nur aus Haut und Knochen besteht! Die Grenze des Körpers besteht für Behinderte und anders Behinderte. Die Grenze ist also keineswegs im Körper zu suchen und daher sind die Benachteiligungen auch nicht als solche zu betrachten. Die Kranken und Schwachen, die Behinderten sind somit in bestimmten Fällen die starken unserer Gesellschaft und wenn wir bedenken, dass der Starke überlebt, dann könnten wir eigentlich nur mit ihnen überleben. Benachteiligungen geben die eigentliche Aufgabe frei, sich von der Hülle seiner alltäglichen Bedrängnisse zu befreien und sich dem eigentlichen Reichtum zu öffnen, nämlich der inneren Freiheit der Entwicklung. In diesem Sinne ist die Technik auch eine ständige Überwindung menschlicher Grenzen. Aus den materialen Behinderungen entstehen nun jedoch auch die ersten Überwindungen des Geistes, bald sind wir alle im Angesicht einer computergestützten Welt behindert. Es gilt, sich darauf mit einer besseren Ethik vorzubereiten. Genaugenommen sehe ich hier also in Nick Vujcic kein Motivationsschicksal. Es geht nicht darum aus einer Minderwertigkeit das Beste zu machen, sondern darum überhaupt das Richtige im Sinn einer Ethik in Angriff zu nehmen. Hierin und nicht im Erfolg sind wir gleich und bewundernswert.

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Norman Schultz

Pittsburgh, April 2015

 

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