Vor vielen Jahren hatte ich eine interessante Diskussion mit dem Programmchef von Arte bei einer Premierenfeier in Leipzig. Ich fragte ihn, warum Arte stets bereits bekannte Dinge zeige und nicht innovativ nach vorne gehe. Er führte aus: Zwar sei das Medium Fernsehen ein Breitenmedium, aber das Problem liege noch tiefer verborgen. Menschen würden sich so im Fernsehen vor allem für das interessieren für das sie sich schon interessierten.
Ich erinnerte mich: In einer Vorlesung in Halle saß ich so bei Harald Seubert, der überraschend eine Professorin für Theologie aus Polen einband. Ich freute mich keineswegs, denn über die gesamte Sitzung hinweg, langweilte ich mich zu Tode. Sie erzählte vom Protestantismus in einem katholischen Land in einer piepsigen Stimme und überzog gnadenlos. Niemand traute sich aufzustehen und als sie ihr Programm beendet hatte und sie allen Ernstes eine Fragerunde eröffnete, dachte ich nur innerlich: „Du dummes Ding, wer sollte sich denn in einem Philososphiekurs für deine piepsige Stimme und dein langweiliges Thema über Protestantismus in Polen interessieren?“ Gott hatte keine Gnade mit mir und schon fragte eine Studentin der Professorin Löcher in den Bauch, was meine Qual nochmals um eine halbe Stunde verlängerte. Warum aber konnte sich jemand für die langweiligste Sache der Welt interessieren?
So ging ich in meinen ersten Semestern in die Vorlesungen von Prof. Dr. Kovtyk, einem alten Professor, der immer noch nervös war, wenn er vor mehr als drei Leuten sprechen sollte. Nur ganz wenige hörten ihm zu. Stets schaltete er den Overheadprojektor (in Halle den Polylux) an und ließ sich die gesamte Sitzung von dem grellen Licht in die Augen scheinen. Dabei hantierte er nervös mit seinem Zeigestock, schraubte ihn zusammen und auseinander. Seine Folien mussten immer mit von seiner Stirn abgeschrieben werden und oft musste ich schmunzeln, wenn zum Beispiel auf seiner Stirn Seelengärtchen geschrieben stand. Ich bot jeden Montag um 17:45 Uhr meine volle Konzentration auf, um ihm zu folgen. Versuchte seinen Humor nachzuvollziehen. Am Ende des Semesters als wir in einer Schlange standen, um unseren Schein zu bekommen, nahm er sich meinen Schein und schaute genau hinauf. „So, so Herr Schultz“, sagte er. „Es war mir eine Ehre Sie in meiner Vorlesung gehabt zu haben.“ Ich war verlegen und sagte, man tue, was man könne, doch er erwiderte „Nein, dieses Semester hat mir sehr viel Spaß gemacht, da ich bemerkte, dass bei ihnen Reaktionen kommen und sie mit dem Stoff mitgehen.“
Warum erzähle ich dies? Ich hatte meine Lektionen gelernt. Wenn ich vor den langweiligen Stoffen von Hegel oder anderen Philosophen sitze, so hole ich das Interessante aus meiner Konzentration. Konzentration ist aber nicht anderes als seinen Verstand arbeiten zu lassen. Da die Welt häufig redundant funktioniert, aktivieren wir unseren Verstand recht selten.
Das heißt nun nicht, dass ihr überall mit höchster Konzentration den Tag verbringen müsste. Bei vielen Laber-Professoren schäme ich mich nicht mehr ein Nickerchen zu machen. Aus so mancher Redundanz des Alltags lässt sich kein Material zum Denken ziehen. Dafür ist mir meine Zeit zu kostbar. Vorlesungen kann ich übrigens aus dem Grund überhaupt nicht empfehlen. Zumeist kriechen die Professoren durch ihr Fachgebiet ohne es jemals mit interessanten Fragestellungen zu würzen.
Und dennoch frage ich mich häufig, warum ich mich für eine bestimmte Sache interessiere und für andere nicht. Demzufolge versuche ich mich für alles zu interessieren und ich denke dafür ist unser Verstand geschaffen. Wir können für alles offen sein und allein aufgrund des Interesses können wir uns gleichsam für Musik, Kunst, Philosophie, Physik oder gar für Mathematik interessieren. Wir sollten es sogar.
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