Wie kommt es eigentlich, dass wir die Natur überhaupt erkennen können? Es ist doch merkwürdig, dass sich für alle Naturdinge, die uns begegnen, ein Begriff (um genau zu sein, ein empirischer) finden lässt. Es ist doch auch so, wenn uns etwas begegnet, das wir noch nie gesehen haben, wir dann nicht etwa einen unbekannten Fleck sehen, sondern sogleich diesem Gegenstand die ontologischen Eigenschaften seiner Beschaffenheit überstulpen. Denken wir über Zeit oder Räume nach, so sagen wir uns, dass diese Repräsentation des Gegenstandes als etwas auf Prinzipien der Materie zurückzuführen sei. Wir gehen von einem natürlichen Dawider der Welt aus. Dieses Dawider muss aber doch durch uns auch erst in seiner Gegenspannung gesetzt sein. Ein Dawider der Welt setzt ein Dawider von uns voraus.
Das Dawider der Welt
Das gegenseitige Dawider bedeutet nur: Der Mensch passt in die Natur, wie die Natur gleichsam nur zu ihm passt. Und so schlussfolgert Kant beispielsweise ganz richtig: Weil die Natur prinzipiell immer beschreibbar und reflektierbar sei, sich diese auch als das zugrunde liegendes System unserer Urteilskraft vorstellen lasse. Die Bedingungen der Gegenstände sind daher nicht in einem außen, sondern in uns zu suchen. Das heißt, um nochmals einfacher zu sagen, überall wo der Mensch hinsieht, erkennt er die dazugedachten, abstrahierten Zusammenhänge. Die Bedingungen für die Natur können also auch in unserem Denken selbst untersucht werden. Es wäre schön, wenn die Natur aus diesen Zusammenhängen des Denkens dann tatsächlich bestehen würde. Ob dieses aber tatsächlich der Fall ist, lässt sich nicht letztgültig beweisen. Die Fibonacci-Zahlen zum Beispiel sind wohl die beeindruckensten numerischen Größen, die sich in der Welt finden lassen und ein Beweis für die zumindest partielle Harmonie der Natur mit unserem Denken, ob aber letztlich alles Zahl sei, wissen wir nicht.
Heißt das aber, dass die Natur nur nach Zahlen strukturiert wäre? Oder passt es nur sehr häufig sehr gut? Wenn wir Natur denken, dann versuchen wir sie stets reduktiv zu denken, was bedeutet, dass wir die Komplexität ihres Systems auf ein einfacheres System herunterklären wollen. Die Physik verbleibt dabei das gewünschte mathematisierte Endprodukt. Hiernach lassen sich dann alle Naturerscheinungen und auch sozialen Phänomene grundsätzlich auf die Prinzipien der Quantentheorie heruntertransformieren. Aber so einfach ist die Sache leider noch nicht.
Einwände gegen die Erfahrungswissenschaft der Physik
Wir müssen doch erstmal festhalten, dass Beobachtungswissenschaften wie die Physik induktiv arbeiten. Das heißt sie leiten aus der Beobachtung von Vergangenheit die Zukunft ab.
Gestern ging die Sonne auf.
Heute geht die Sonne auf.
Also geht die Sonne morgen wieder auf.
Anhand von beobachteter Phänomene wird die Zukunft erschlossen. Dieses schließt aber nicht aus, dass die Reihe der Phänomene einen Abbruch erleidet, aus welchen Gründen auch immer. Vereinfachen wir das mal: Wenn beim Roulette dreimal die 0 erscheint, gehen wir ja auch nicht davon aus, dass dieses wieder geschieht. Die Physik vermutet nun Kräfte, die die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung zwar erhöhen, diese Kräfte leitet sie aber immer nur anhand von beobachtbaren Phänomenen ab. Die Kräfte selbst sind nicht beobachtbar, sondern werden durch unseren Verstand hinzu gedacht, um die Phänomenabfolgen überhaupt denken zu können. Es könnte aber auch sein, dass wir es genau falsch gedacht hätten und einem Pseudozusammenhang aufgesessen sind. So wie der Roulettespieler beispielsweise glaubt ein System der Zahlen zu erkennen oder der Wünschelroutengänger sich selbst von seiner Fähigkeit überzeugt, so überzeugt sich der Physiker von der Gültigkeit seines Denkens an Erfahrungsphänomenen. Gültigkeit ist aber nicht durch eine Andemonstration von passenden Beispielen zu erreichen, sondern nur durch die Begründung des Vorgehens überhaupt. Das Vorgehen der Physik ist jedoch immer fallibel. Schauen wir uns erstmal an, wie der Wünschelroutengänger widerlegt wird. Achtet dabei bitte darauf, an was der Physiker jedoch glaubt:
Die Plausibilität verleitet uns oftmals etwas als real anzunehmen. Nur weil aber etwas schlüssig (plausibel) ist, ist es noch lange nicht wahr. Selbst wenn der Physiker hier also an ein geschlossenes Universum glaubt, weil es plausibel ist, heißt das daher nicht, dass es auch so ist. Es könnte durchaus Wünschelrutengänger geben, deren Wunderkraft nicht mit den Gesetzen der Physik erklärbar ist. Ich sage „könnte“, ich behaupte nicht, dass es diese gibt. Eines aber muss für Wünschelrutengänger gelten, wenn es sie denn gibt: Sie müssen im Experiment statistisch ihre Kräfte nachweisen können. Das aber können Wünschelrutengänger bisher nicht (genauso wie übrigens auch die Homöophatie nicht nachgewiesen ist).
Egal aber, was nun Wünschelrutengänger betrifft, bei vielen Wissenschaftler herrscht partielle Unkenntnis über den logischen Sachverhalt, dass auch sie nicht beweisen können, dass die Welt durch Gesetze bestimmt ist. Sie haben nur den entscheidenden Vorteil, dass ihre Gesetze häufig zutreffen und sind damit höher zu bewerten. Es könnte aber immer noch auch einen unverortbaren Zufall oder eben Wunder geben. Alfred Eisleben hat dieses wunderbar in seinen Reflexionen über die Natur und das Denken festgehalten.
„Ein Stein in meiner Hand fällt zu Boden und Sie sagen mir, Sie hätten es kommen sehen. Aber was wenn er nicht zu Boden gefallen wäre? Sind wir verrückt die Welt als Welt zu glauben oder ist die Welt so verrückt unserem Denken zu glauben?“
Als ich in Köln Professor Nattermann (Professor für theoretische Physik) diesbezüglich fragte, wie er Phänomene behandeln würde, die nun seinen Annahmen überraschend widersprechen würden, da sagte er, dass nach allen Beobachtungen im Mikro- und Makrobereich des Universums er die Wahrscheinlichkeit mit 0 für solche Phänomene ansetze. Aber nach welchem Gesetz setzt er diese Wahrscheinlichkeit mit 0 an? Gesunder Menschenverstand?
Da wir nur 40 Milliarden Lichtjahre des Universums sehen, was womöglich 300 Milliarden Lichtjahre groß ist und nur 15 Millliarden Jahre alt ist, kann es genauso sein, dass wir viele Phänomene noch überhaupt nicht gesehen haben. Die Physik kann keine Letztbegründung des Wissens liefern, da sie einfach bei den Phänomenen ihren Ausgang nimmt und mit dem induktiven Schlussverfahren niemals apriorische Letztbegründung erreichen kann. Das heißt natürlich nicht, dass ich eine praktische Leistungsfähigkeit der Physik ausschließe. Bisher leitet sie aus den Beobachtungen statistisch sehr treffsichere Gesetzmäßigkeiten ab, die für uns den normativen Status von Gesetzen haben und uns den Alltag technisch erleichtern. Dieses ist aber kein Beweis.
Was leistet die Philosophie?
Die Philosophie ist nun die Wissenschaft, die in die Bedingungen der Phänomene hineinfragt. Wieso könenn wir Phänomene erkennen und welche Bedingungen gehören dazu. Dadurch ist sie für die Physik die Grundlagenwissenschaft, die zugleich die Physik vor Anmaßung bewahrt. Die Philosophie fragt, ob die Gesetzmäßigkeiten auch strengen Gesetzen folgen oder ob es zum Beispiel in unserem Universum Emergenz gibt, dass heißt, gibt es mögliche Gesetze, die nicht notwendig aus unterkomplexen Gesetzen folgen müssen. Sie fragt auch hypothetisch: Wandeln sich etwa die Gesetze und zwar nicht gesetzmäßig? Sind die Gesetze zufällig? In diesem Falle wäre nämlich mit den Gesetzen der Physik überhaupt nichts erklärt als die Phänomene bei denen sie funktioniert. Das ist auch der Grundgestus einer Theorie: Sie passt genau dort, wo sie passt, so wie der Stein mit Präzision genau auf die Stelle zufliegt, an der er aufschlägt.
Emergente Phänomene und Alternativen zur Physik
Da wir nicht wissen, ob es auch Gesetze gibt, die nicht notwendig aus den Gesetzen der Quantenphysik folgen, ist es sinnvoll, Soziologie, Politikwissenschaft, Sprachwissenschaft oder andere Wissenschaften zu betreiben. Diese arbeiten zwar auch in gewisser Weise reduktiv, aber sie nehmen ihren Ausgang von einer anderen Phänomenebene. Eine Wissenschaft ist daher immer durch die jeweilige Beobachtungsebene bestimmt und es steht noch die Frage aus, ob sich alle Wissenschaften in einem großen Gesetz vereinen ließen, wonach sich alle und wirklich alle Phänomene des Universums beschreiben ließen. Die Physik setzt dies ja einfach nur voraus. Ab und an kann die Physik natürlich hilfreich zur Seite springen. Ich will hier schließlich keine Anti-Interdisziplinarität verbreiten. Angesichts aber einer komplexen Umwelt, wobei wir noch nicht mal unsere eigenen Handlungen am Finanzmarkt mit Gesetzen als vorhersagbare Phänomene beschreiben können, ist jeder Systemglaube an die Geschlossenheit des Universums erstmal fehl am Platze. Wir müssen uns eher fragen, wie wir mit der noch nicht erfassten Komplexität umgehen lernen.
Von Michael Heiss und die Frage ob Komplexität erfassbar und behandelbar ist. |
Mögliche Komplexität der Umwelt
Ich durchforste im Moment die empirischen Weiten der soziologischen Forschung nach den Regelkreisen des gesellschaftlichen Umweltbewusstseins. Ich weiß natürlich, dass viele voraussetzen, dass wir die Umwelt schon kontrollieren könnten und uns nur noch die Technik fehle. Aber dieser Technikglaube setzt schon voraus, dass wir Umwelt verstehen. Warum das kompliziert ist, möchte ich darlegen. Klimawandel, wie ich hier schon dargestellt habe, ist ja zum Beispiel keineswegs leicht zu erschließen. Immer wieder begegnen uns zur Debatte des Klimawandels Menschen, die mit physikalischem Rüstzeug schnell vom Gegenteil überzeugen: antropgenen Klimanwandel gibt es nicht. Daher analysiere ich im Moment, welche Bedingungen für Gesellschaften überhaupt dazugehören, um über die Umwelt (oder weiter gefasst die Natur) nachdenken zu können. Im Alltagsverstand wird Umwelt nun als sehr simpler Sachverhalt angenommen, der vor allem linear nach dem Ursache- Wirkungsmechanismus (physikalisch) funktioniere. Das kann so sein, muss aber nicht so sein. Es könnte auch sein, dass Umwelt chaotisch offenes System ist, dass nur in Sonderfällen funktioniert und in diesen Fällen Bedingung unserer technischen Welt ist. Genau in diesen Sonderfällen, wäre der Klimawandel nur eine Frage des Wirtschaftswachstums. Umwelt ist aber vorrangig komplex, denn es konnte noch nicht auf eindeutige Regelkreise reduziert werden.
Aber auch die Gutmensch-alltags-hypothese, dass die Natur sich im Gleichgewicht befände und den Menschen, der das Chaos mit sich und seiner Technik bringe, möchte ich behandeln. Diese ist nämlich ebenso voraussetzungsreich, wenn ausgesagt wird: Es gibt natürliche Gleichgewichte. Wie kann das aber geschlussfolgert werden, wenn 98% der Arten bisher ausgestorben sind? Leben ist eine kurze Erfolgsgeschichte, die auch einfach in einem Misserfolg verpuffen kann. Ich möchte nur daran erinnern, dass jede noch so große Karriere bisher zumindest mit einem Misserfolg geendet hat: dem Tod. Wo würden wir hier vom Gleichgewicht sprechen?
Ich argumentiere also weder für technische Lösungen des Umweltproblems, noch für Einsichtshandlungen des bescheidenen, umweltgerechten Lebens, sondern will zunächst nur das Problem der Umwelt überhaupt thematisieren. Ich hoffe, dass dieses den Lesern dieses Blogs mit gleicher Neugier am Herzen liegt.
Viele Grüße und wenn ihr es noch nicht habt, abonniert meinen Blog oder empfehlt mich weiter, Norman ;)
Wow, sehr interessanter Beitrag. Ich bin davon ueberzeugt, dass die Natur auf bestimmten Gesetzen beruht, die sich zu einem gewissen Teil durch Mathematik und Physik erklaeren lassen. Mit diesem gewissen Teil meine ich unser begrenztes Sichtfeld auf das Ganze.
Wir Menschen spielen ja eine so kleine Rolle in diesem riesigen Puzzle des Universums,das es sehr vermessen ist, zu glauben, wir koennten alles aus unserer Position heraus erklaeren.
Selbst mit unseren technischen Hilfsmitteln koennen wir doch nur einen kleinen Bereich des uns umgebenden Lebensraumes ueberhaupt erfassen, roentgenstrahlung, radioaktivitaet, elektrizitaet alles da, aber wir koennen es nicht sehen. Gibt es evtl. noch weitere strahlungen, oder phaenomene, die wir noch gar nicht entdeckt haben oder die wir uns gar nicht vorstellen koennen, die auf einen schlag alle bestehenden theorien zunichte machen, weil sie nur ein kleiner bestandteil des ganzen sind.
ich freue mich auf deine naechsten beitraege!
Hey Sebastian, danke für die Komplimente :) deine Überzeugungen, dass die Natur auf Gesetzen basiere, sind nur worauf begründet? Jedem notwendig erscheinendem Phänomen kann jederzeit auch nur eine zufällige Übereinstimmung mit Kausalitätserwägungen besitzen.
Aus diesem Grund sind deine Fragen auch sehr richtig. Aber trotz dieses Skeptizismus gehe ich natürlich von einer hohen Relevanz der Physik für uns aus. Nur die Letztbegründungsansprüche sind etwas vermessen. Ich denke da vor allem an Phänomene der Moral oder der Freiheit. Diese Phänomene sind uns erschließbar, aber nicht mit den Mitteln der Physik.