Nicht nur für Manager ist Zeit von jeher eine Herausforderung, sondern auch für die Philosophie. So merkte der Philosoph Augustinus noch an:
„Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.“ – Confessiones lib. 11
Der Philosoph Augustinus verstand damit die Zeit als den nur durch unsere Existenz erfahrbaren Hintergrund aller Welt, der nicht in die Form einer Antwort zu bringen war. Zeit war philosophisch vor allem ein Maß für das göttlich Geschaffene durch Gott, aber nicht ursächlich erklärbar, sondern einfach mit allem da. Für Gott aber waren alle Momente der Gegenwart nichts anderes als Ewigkeit. Diese göttliche Ewigkeit blieb für den Menschen in seiner theoretischen Sprache undurchdringbar. Vergangenheit war damit nur Erinnerung und Zukunft allein Erwartung, Gegenwart jedoch sollte gelebt werden.
Wohin also stürzten diese ganzen Räume, die da in der Zeit hinter uns bisher versanken? Wo ist der Steinzeitmensch heute? Wo befindet sich Augustinus? In einem verlassenen Zimmer hinter unserem Rücken? Ist er noch da, nur in einer anderen Zeit? Ist die Zukunft schon geschehen oder wird sie noch geschehen?
Diese philosophischen Fragen, die auch Augustinus trieben, konnten mich nie wirklich fesseln, da es für diese kaum einen Halt gibt, um mit einer Philosophie weiterzuforschen. Zeit ist die Grenze unseres Seins und Denkens: Der Sinn von Sein, das Woher der Verstehbarkeit von Welt ist Zeit, selbst aber verbleibt die Zeit Nichts. Ein dunkler Fleck in unserer Erkenntnis.
Die Physik mochte naturgemäß diese philosophische Nichtserkenntnis nicht. Dennoch gab auch die physikalische Messbarkeit von Phänomenen schließlich wenig Auskunft über das Wesen der Zeit. Ist Zeit ein unendlich teilbares Kontinuum oder eine Menge von diskreten und isolierbaren Momenten? Der Philosoph lächelte natürlich über die Versuche der Physik aus der Empirie allgemeingültiges Wissen darüber ableiten zu wollen. Wie sollte aus der Erfahrung mehr als Erfahrungswissen, das grundsätzlich fallibel ist abgeleitet werden? Die Physik stieß wieder und wieder an diese Grenze und es stellte sich heraus, dass wir zur Aufklärung des Zeitphänomens zu allererst in uns selbst hineinzuforschen haben. Eine Aufgabe der Philosophie, zugleich aber auch der Streitpunkt, ob die Zeit in uns vorfindbar ist.
Die Philosophie der Zeit
Die Zeit in uns können wir zumindest nicht verleugnen. Die verlebte Zeit zieht den ein oder anderen in allen Gliedern. Er trauert dann einer ungenutzten Vergangenheit hinterher und es stellt sich heraus, dass die Zeit und ihr „Es war einmal“ das Märchen des Lebens ohne Happy End erzählt. In der Philosophie bekannten sich vor allem die Vorlaufenden in den Tod zu dieser Interpretation. Wir wollen die Tragödie der Zeit eigentlich nicht. Wir wollen aus unseren verbleibenden Tagen einen Strom machen, an dem wir in Ruhe unter einem Bäumchen sitzen und zuschauen, was dort alles so herunterfließt. Wir wollen noch einmal auf unserem Weinberg sitzen und der Traube beim Reifen zuschauen. Wir wollen wie der Philosoph Goethe bei Wein und Gesang Frauen Hexameter auf den Rücken zeichnen. Wir wollen Müßiggang in einer Zeit, die keine philosophische Befürchtung mehr zulässt. Wir wollen ein zeitloses Paradies. Im Grunde aber verachten wir die Zeit und wollen damit das nicht, was uns selbst ausmacht, wir wollen uns selbst nicht. Denn ist es nicht gerade der Zeitdruck, der uns zum Handeln motiviert? Würden wir ewig leben, so könnten wir doch auch alles auf Morgen verschieben. Ãœberhaupt etwas zu tun, wäre sinnlos.
Gerade die Mönche versuchen daher gerade mit der asketischen Prokrastination in Professionalität die Sinnlosigkeit soweit zu treiben, dass nur noch das Wesen der Zeit verbleibe. Sie versuchen die Zeit in ihrem treibenden Wesen zuzulassen und sie nicht zu managen. Zeitmanager sind aber in der Regel gegen die Zeit. Diese fruchtlose und realitätsferne Idee der Abschaffung der Zeit beherrscht deren Philosophie. Zeitdrücke entstehen in der Regel aber nur, wenn Dinge wichtig sind. Die Politik kann davon ein Lied singen.
Zeitmanagementphilosophie
Beim Zeitmanagement geht es nicht darum seine Zeit tatsächlich als Zeit zu leben, wie wir erwarten sollten, sondern vor allem darum Zeit zu sparen. Die hohlphilosophische Botschaft des Anfangs lautet dabei zwar stets „Zeit kann man nicht sparen.“ Aber wirklich ernst meint diese Phrase kein Zeitmanagementphilosoph. Natürlich dieses verrinnende Wesen der Zeit, das sich noch durch jede Sanduhr als feiner Sandstrahl hindurch schneidet, dieses zarte Pflänzchen der kindlichen Entwicklung, dieses ausgeprägte Geäst in den Falten des Alters, nein dieses kann nicht in der modernen Sparmentalität an Zeitbörsen angelegt werden, aber dem Zeitdruck positiv begegnen tun auch sie nicht. Statt Zeitsparer werden wir zu Zeitfahrern, die Welten jagen. Was also empfehlen uns die Gurus dabei in aller Regel? Soviel wie möglich, so schnell wie möglich machen.
Was ist jetzt aber eigentlich mein philosophisches Problem? Ich habe natürlich nichts dagegen seinen Alltag zu strukturieren und zu takten und halte dieses Vorgehen oftmals für sehr sinnvoll. Steve Palina ist ja hierin ein Experte. Nach seiner Sicht muss er alles schneller machen. Schneller Zähneputzen, schneller kochen, schneller Schnürsenkel binden, schneller lesen und schneller leben (?).
Problematisch an den meisten Theorien ist jedoch zunächst, dass diese vor allem ein Schlachtfeld um die Gunst der Manager darstellen. Angebliche Gurus wie beispielsweise Seiwert nehmen für ein Wochenendseminar gerne 2000 Euro pro Teilnehmer (eine Auseinandersetzung mit einer Professorin dazu unter meinem Beitrag zu Daniel Kehlmann und die Grenzen des Lesbaren). Hier aber hört der Spaß auf, denn was dort verkauft wird, ist zumeist nichts weiter als Gewäsch ohne empirische Datenbasis. Diese Zeittheorien kann jeder entwickeln, aber sind diese durch Studien belegt? Nein. Doch ungeachtet dieser empirischen Mängel ist mein Problem wiederum ein anders.
Wie auch mit meinen Beiträgen zum Schnelllesen dargelegt, ergibt es oftmals wenig Sinn sinnvolle Dinge schneller zu tun. Die Geschwindigkeit unseres Verstehens gibt den Weg vor und wir sollten uns vor allem an die schwierigen Dinge heranwagen, dort aber spart sich dann kaum mehr Zeit, weil jeder Denkschritt ein notwendiger wird. In der Philosophie belohnt sich gerade die sorgsame Langsamkeit und der übertriebene Selbstanspruch auch noch das vertrackteste Problem auseinanderzuklamüsern. Aber auch die Effizienz ist nicht mein Punkt.
Es mag sein, dass wir manche Dinge schnell erledigen müssen. Ein Zeitmanagementseminar setzt aber voraus, dass der Sinn unserer Zeit bereits bestimmt ist. Und hierin liegt das wesentliche Problem. Vielen Menschen haben kein Zeitproblem, sondern stecken in einer Sinnkrise. Genaugenommen steht die gesamte Menschheit in dieser Sinnkrise, aber dazu später mehr. Vielmehr bedarf es daher vor jedem Zeitmanagementseminar der noch viel wichtigeren Frage, inwiefern wir an uns arbeiten wollen und inwiefern wir diese Arbeit wollen. Zeitmanagement würde viel eher einen philosophische Ethos voraussetzen. Stattdessen bringen wir nicht der Menschheit bei wie der Zeithorizont für alle gerecht nach philosophischer Maßgabe eines guten Lebens (Ethos) gestaltet wird, sondern vor allem wie wir Dinge schneller machen als andere. Wenn dann ein Manager 2000 Euro für so ein Seminar ausgeben kann, während andere nicht mal 500 Euro im Monat zur Verfügung haben, dann haben wir tatsächlich ein Problem. Wir wäre es denn, wenn wir die Zeit aller Individuen erschöpfend gebrauchen würden und dann auch noch für sinnvolle Dinge? Dies würde auch bedeuten, dass die Zeit eines jeden Menschen etwas wert ist und nicht nur die des Managers, der es sich leisten kann. Ressourcen verschwenden wir also nicht mit unserer Zeit, sondern damit, dass wir vor allem eins nicht sind: gerecht.
Die Zeitersparnis treibt derweil merkwürdige Blüten. Vor allem von Möchtegernerfolgreichen lässt sich da einiges von Geld abknapsen. Folgendes Video soll uns also auch helfen, schneller durch das Leben zu eilen.
Steve Palina hat hierzu einen „bemerkenswerten“ Artikel geschrieben: http://www.stevepavlina.com/blog/2011/04/watch-online-videos-in-half-the-time/. Obzwar ich Steve bewundere, so frage ich mich doch, wo er mit seinem prinzipiellen Atheismus am Ende eigentlich landen möchte. Zu dem Video selbst frage ich mich, warum es nicht schon im Zeitsparmodus versendet worden ist. Meiner Auffassung sind Videos, die sich im Zeitsparmodus anschauen lassen, zumeist nicht der Mühe wert, sie zu schauen.
An und für sich ja ist das wunderbar, habe ich doch selbst schon zu viele Filme im Modus der Langeweile verbracht und ich hätte sie vorspulen sollen. Wohl aber wäre die sorgsame Auswahl des Gelabers eher angebracht gewesen als diese Effizienzvorgaukelei. Videos sind doch ohnehin nur eine geringe Informationsquelle, die vielleicht in Phasen mangelnder Konzentration angebracht wäre. Wenn ich etwas jedoch wirklich tiefgründig philosophisch recherchieren will, dann muss immer noch das altmodische Buch herhalten. Aber wie gesagt, um die Formen der Effizienz geht es nicht. Wir haben in unserer Gesellschaft ein ganz anderes Effizienproblem, das tief in eine philosophische Ethik zurückgreift. Vor allem das philosophische Gerechtigkeitsproblem, dass wir uns als Menschheit in einer Sinnkrise befinden und offenbar Erfolg bedeutet, das Falsche zu tun (nämlich luxuriös Ressourcen zu verbrauchen), dies sind die Probleme die wir als erstes bedenken müssen. Wofür sollten wir denn alles immer schneller tun? Für Wein, Weib und Gesang, um Frauen den Hexameter auf den Rücken zu zeichnen? Nun letztlich weiß ich es auch nicht, aber das vom Philosophen Apel transzendental abgeleitete Kriterium das Überleben der Menschheit zu sichern, erscheint mir als erste notwendige Tat, Zeit auch für andere Generationen zu gewinnen und nicht nur für uns selbst.
Doch auch der Aspekt der Meditation in der Zeit kann eine Rolle spielen. Da wir ohnehin für die falschen Dinge Zeit sparen, müssen wir auch mal fragen, ob Prokrastination wirklich so schlimm sei. Das folgende Video zeigt uns, dass die Zeithygiene uns letztlich nur von der eigentlichen Zeiterforschung, wie sie die Philosophie seit den Mönchsriten verfolgt, abhält.
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