Seit kurzem hat ein Gesichtsverbrechen die USA ‚erschüttert‘ und zeigt ‚wie gespalten das Land ist.‘ Eigentlich aber zeigt es nicht die Spaltung des Landes, sondern deutet Probleme der sogenannten Schwarmintelligenz an, die leider häufig auch nur ein Herdentrampeln ist. Es geht darum, dass Teenager, einige davon mit Make-America-Great-Again-Basecaps (MAGA), einen Ureinwohner Amerikas belästigt haben sollen.
Teenagers wearing MAGA hats were caught on tape mocking a Native elder at the Indigenous Peoples March — and even Rep. Deb Haaland publicly responded pic.twitter.com/769r5kl0tH
— NowThis (@nowthisnews) January 19, 2019
Die Geschichte wird in linken Kreisen als Drama dargestellt: Jugendliche umzingeln den Marsch einer Ureinwohnergruppe, die einen traditionellen Song zelebrieren. Dabei gröhlen sie über den traditionellen Gesang hinweg. Schließlich positioniert sich ein Junge mit MAGA-Basecap vor einem Ureinwohner, drängt radikal in seinen persönlichen Raum ein und provoziert ihn mit einem dämlichen Grinsen. Der Ureinwohner lässt sich von der offensichtlichen Gewalt jedoch nicht einschüchtern und singt unbeirrt seinen traditionellen Gesang. Zu dem dramatischen Vorfall schrieb eine Kongressabgeordneter daher gleich auf Twitter:
„This Veteran put his life on the line for our country. The students’ display of blatant hate, disrespect, and intolerance is a signal of how common decency has decayed under this administration. Heartbreaking.“
Übersetzung: „Dieser Veteran hat sein Leben für unser Land riskiert. Die Schüler, die offen hemmungslosen Hass, Abwertung und Intoleranz zeigen, sind ein Signal wie stark der Anstand unter dieser Regierung zerfallen ist. Herzzerbrechend.“
Andere vergleichen das Gesicht des weißen, privilegierten Jungen sogleich mit der Fratze des weißen Patriarchats:
One theme of the conversations over the past 24 hours = how deeply familiar this look is. It’s the look of white patriarchy, of course, but that familiarity — that banality — is part of what prompts the visceral reaction. This isn’t spectacular. It’s life in America. pic.twitter.com/TmziDwAjYA
— Anne Helen Petersen (@annehelen) January 21, 2019
Wieder andere fragen, ob man schon jemals ein Gesicht gesehen hat, in das man so direkt hätte reinschlagen mögen:
Honest question. Have you ever seen a more punchable face than this kid’s? pic.twitter.com/jolQ7BZQPD
— Reza Aslan (@rezaaslan) January 20, 2019
Während Phillips, der Ureinwohner, zu einem Meme des Widerstands aufgebaut wird, schauen sich die konservativen Medien und Kommentatoren das Videomaterial genauer an. Hier ist das umfangreichere Material, allerdings schon mit Kommentar:
Die Darstellung in den politisch eher rechten Kreisen ist durchaus umfangreicher. Zunächst gehen die Kommentare auf den Kontext ein. Es waren nämlich nicht nur die Teenager anwesend, sondern auch eine radikale Gruppe schwarz-hebräischer Israeliten:
„Was ich sah waren außerordentliche Borniertheit, Gewaltandrohungen, abscheuliche Frauenverachtung, abstoßender Rassismus, faule Schwulenfeindlichkeit und Anti-Katholizismus – nicht von den Schülern, sondern von erwachsenen Männern … den schwarz-häbrischen Iraeliten“
Dies schreibt Andrew Sullivan im Intelligencer und führt weiter aus:
„Sie glauben, dass weiße Sklaven sein werden, wenn Christus zur Erde zurückkehrt“ Der Autor zeigt, dass weder die Washington Post, noch die New York Times diese Umstände ausreichend reflektiert haben. Diese Israeliten hatten auch bereits die Ureinwohner mit Hasstiraden belegt.
Die Beleidigungen dieser Israeliten, die Sullivan zitiert, lasse ich ohne Übersetzung stehen. Es ist müßig, Beleidigungen in deutsche Entsprechungen zu übersetzen:
“You ain’t no child of God. You are the Indian. You are a blue-eyed demon.” Then: “You’re still worshipping totem poles. You out of your mind! You have to repent. You worship the buffalo. You worship the eagle. You worship the phoenix. These are the idols you’ve been worshipping. A damn buffalo ain’t gonna save you. You worship the creations and not the creator … That’s why you’re drunkards in the casinos and the damn plantation.” Another: “Dumb-ass niggers. Bunch of demons. You’re a bunch of Uncle Tomahawks.” They snarled the word “savages” at Native Americans.“
Das ganze Geschrei war bereits agressiv und bedrohlich. Warum also führte das Grinsen eines Kindes zum Aufheulen? Hier sind die Beleidigungen, die die Schwarzen dann auf die Schuljungen losgelassen haben:
“Bring your cracker ass up here. Dirty ass crackers, your day coming. We can give a hell about your police. No one’s playing with these dusty-ass crackers.” Another: “Don’t get too close or your ass gonna get punished … You crackers are some slithery ass bastards. You better keep your distance.” And this, surveying the scene: “I see you, a bunch of incest babies … Babies made out of incest. If you’re the great damn nation, get rid of the lice on your back. … You’re a bunch of hyenas. You outnumber us but you keep your distance. You couldn’t touch us if you wanted to. You worship blasphemy. Look at these dirty-ass crackers. You’re a bunch of future school-shooters. You crackers are crazy. You crackers have got some damn nerve …” And again: “When you guys gonna shoot up another school? You all gonna shoot up a school.” Yes, the man was accusing a bunch of schoolboys from Kentucky of wanting to murder their classmates — solely because they’re white. Once the Israelites figured out the kids were Catholic, they offered this about what appeared to be a picture of the Pope: “This is a faggot child-molester.” And this about Donald Trump: “He’s a product of sodomy and he’s proud. Your president is a homosexual. … It says on the back of the dollar bill that ‘In God We Trust,’ and you give faggots rights.” At that homophobic outburst, the kids from the Catholic school spontaneously booed.
Die Jugendlichen, die auf ihren Bus warteten, beschlossen im Gegenzug ihre Schulhymnen zu singen. Aber sie entgegneten auch, dass die Beleidigungen der Israeliten rassistisch seien und fragten, warum sie sie Klansmänner nennen würden. Letztlich apellierten sie an die Toleranz der Israeliten.
Die 16-Jährigen Jugendlichen, auf Schulausflug in Washington, reagierten bedacht. Es sind immerhin Jugendliche. Für viele Amerikaner jedoch ist eine Kopfbedeckung mit der Aufschrift „Make America Great Again“ bereits eine Unmöglichkeit, die man nicht verzeihen kann. Charles Blow zum Beispiel schreibt, dass diese Basecaps nicht einfach nur ein Symbol für Trump seien, sondern dass sie Ikonen für die weiße Vorherrschaft sind. Er vergleicht sie sogleich mit der Konfederierten-Flagge, wobei beide MAGA-Basecap und Flagge als Symbole dieselbe Funktion hätten. In anderen Worten: er assoziiert Trump mit einer Partei, die für die Skalverei stand. Viele Gegner Trumps sehen sich bereits als Teil des sogenannten Widerstands, denn die Republikaner repräsentieren eine Vorstufe des Nazi-Systems und Trump sei Hitler.
Begleitend zur Verrohung von Argumenten in postfaktischen Zeiten geht es nur noch um Narrative. Die Radikalisierung von politischen Ideen führt zu diesem Ergebnis. Nun haben die linken Kreise in der Regel ein angebliches Monopol auf Intelligenz und so sind Analysen aus linken Kreisen in der Regel mit der vollständigen Wahrheit zu identifizieren. Längst ist nämlich Rassismus nicht mehr die Abwertung eines anderen Menschen aufgrund seiner Rasse. Rassismus ist seit den einflussreichen Essays von Peggy McIntosh Anfang der 90er nur möglich, wenn er mit Privileg kombiniert ist. Das heißt, Schwarze gelten als ewig Unterdrückte, können nicht rassistisch sein. Weiße aber, weil sie von der Unterdrückung bis heute profitieren, sind per se rassistisch.
Für Sullivan ist die gespaltene Gesellschaft daher Restultat von immer haltloseren Begriffen, die nur im Jargon ihrer eigenen Gruppe genutzt werden, aber darüber hinaus nicht zur Diskussion stehen. Es ist Begriffstribalismus.
Ein Freund von mir auf Facebook hatte dazu auch nur Folgendes mitzuteilen:
„Is it tribalism to find fault with a gang of teenagers surrounding an elderly native man and pointedly donning the emblem of a prominent known racist? That seems like a bar so low it’s meaningless.„
„Ist es Tribalismus eine Gang von Teenagern abzulehnen, die einen alten Eingeborenen umzingeln und dabei das Emblem eines bekannten Rassisten zur Schau stellen? Hier erscheint der Standard sehr niedrig zu sein.“
Doch hier ist das Problem. Weil viele Amerikaner nur Informationen aus den eigenen Reihen zulassen, wird übersehen, dass Phillips, der Ureinwohner, sich in die Gruppe der Teenager gedrängt hat. Gefolgt von einer professionalisierten Youtube-Crew wurde das Video dann als Angriff zurechtgeschnitten. Das komplexere Material jedoch zeigt, dass wir nicht sagen können, dass Phillips umzingelt worden ist. Phillips behauptete im Nachgang, dass er Gewalt verhindern wollte. Aber warum pickt Phillips sich dann die Teenager und nicht die Isrealiten raus? Dass Phillips mit seiner Trommel in eine Gruppe von Teenagern gegangen ist, wird reinterpretiert als ein Versuch, die aufgebrachten Teenager zu beruhigen. An Deeskalationsseminaren hat er daher sicher nicht teilgenommen. Dass er dabei aufdringlich einen Jungen herauspickt und ihm die Trommel vors Gesicht hält, ist beschämend. Währenddessen ließen sich die anderen Ureinwohner in Debatten verwickeln: die weißen Teenager wären Besetzer des Landes. Sie hätten daher keine Rechte. Ich will hier nicht so weit gehen und die Ureinwohner als Anti-Immigranten bezeichnen. Der historische Sachverhalt ist komplex. Aber besonnen sind sie auch nicht.
Rassismus existiert noch heute, vor allem in den USA, aber mit der gegenwärtigen Tendenz, Argumente für die eigene Gemeinschaft zu servieren, wird Donald Trump ein zweites mal wiedergewählt werden. Die Demokraten glauben, sie müssten nur lauter rufen und picken sich daher individuelle Einzelfälle heraus. Rassismus jedoch ist ein makro-soziologisches und makro-ökonomisches Phänomen. Es ist das Resultat von einer historischen Benachteiligung der Schwarzen. Martin Luther King hatte bereits angemerkt, dass die Weißen freies Land in den 50ern bekamen, während die Schwarzen sich nur in den Vorstädten verdingen konnten. Das Bildungsniveau blieb bis heute niedriger als bei Weißen. Entsprechend ist die sozio-ökonomische Teilhabe am Wohlstand geringer. Dennoch hat die Gesellschaft sich weiter entwickelt und Schwarze können Präsident werden. Individuell, so auch meine Erfahrung, findet Diskriminierung nicht mehr in der Weise statt, dass die Gesellschaft gespalten wäre. Rassismus ist immer weniger das Problem von individuellen Begebenheiten.
Die gröbere Teil der Debatte verläuft emotional in der Weise wie eben die Amerikaner auch ihre Hollywood-Filme produzieren.
Die Zeitkritik zum Film lohnt sich, denn Rassismus als Konfrontation zwischen Individuen ist selektiv und ein Problem der 50er. Heute ist Rassismus subversiver. Das Emotionskino bildet den Rassenkonflikt als Geschichte zwischen zwei unterschiedlichen Protagonisten ab. Rassenkonflikte sind nur keine Frage von rassistischem Alltag mehr, sondern bilden sich nur noch im Aggregat als Folge von ökonomischer Benachteiligung ab. Wie Trump können wir uns alle in der Sicherheit wiegen, dass wir selbst keine rassistischen Einstellungen haben. Dennoch ist die dominante Stellung der Weißen ein Problem. Dazu ein Beispiel: Als ich in Amerika lebte, wurde ich gefragt, ob ich an der Universität Deutsch unterrichten möchte. Das ist tatsächlich sehr vorteilhaft, denn man kann je nach Intensivität der Vorbereitung gut 50 bis 90 Dollar die Stunde verdienen. Ich habe dennoch abgelehnt. Ich wurde dann gefragt, ob ich jemanden kennen würde, der vielleicht Deutsch unterrichten könnte. Ich bin dann meine Bekannten durchgegangen. Am Ende war es ein Portugiese, der wirklich sehr gut Deutsch kannte und der dann den Job auch bekam. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch alle meine Freunde, die Deutsch konnten weiß. Da die Schwarzen weniger Kontakt mit Weißen haben, die Weißen aber vorrangig das Universitätsgeschehen dominieren, werden die Schwarzen tatsächlich benachteiligt. Ich habe einen Weißen in die Stelle vermittelt. Zwar war ich nicht intentional rassistisch, dennoch war es aber eine Form der Benachteiligung. Kein Alltagsrassismus, aber systematischer Rassismus. Ich habe später zwei Schwarze kennenglernt, die sich auch sehr für die Stelle geeignet hätten. Mein Freundeskreis als Ausländer war sehr international. Der Durchschnittsamerikaner aber hat weniger als einen schwarzen Freund.
Man könnte dies nun alles differenziert darstellen. Nachdem sich die Schleusen des Internets aber für jeden geöffnet haben, haben wir es mit einem Medium ohne Qualitätskontrolle zu tun. Das bedeutet auch, dass die Begriffe, die im intellektuellen Diskurs geschärft wurden, nun zum Alltagsmobbing durchsickern. Weißes Privileg, toxische Maskulinität oder weiße Fragilität eignen sich alle hervorragend, um Individuen im Alltag klein zu reden. Leider aber und das ist meine Meinung, ist das Problem auf einer gesellschaftlichen Ebene zu betrachten. Es ist weniger individuell. Da die Amerikaner sich aber weniger auf derartige Diskussionen einlassen, wird die Spaltung genau an der Frage des komplexen Diskurses scheitern. Zwar gibt es Schwarmintelligenz, aber auch Schwarmdummheit. So wie Schafe, die sich nur um die Herde bemühen, sind auch die Begrifflichkeiten im Diskurs leider nicht kritisch gebraucht, sondern als Waffen. Mit dem zusätzlichen Eintreten von Schultz in den Wahlkampf wird das demokratische Lager weiter geschwächt werden. Ein zweiter Wahlsieg von Donald Trump ist daher leider möglich.
I love our country, and I am seriously considering running for president as a centrist independent.
— Howard Schultz (@HowardSchultz) January 28, 2019
Dr. Norman Schultz, Neubrandenburg, Februar 2019