Am 20. März 2015 diesen Jahres verstarb mein Professor, Dr. Edmund Braun.
Als ich im Winter 2007 nach Köln kam, da hatte mich so eben Freiburg wegen eines enormen Verwaltungsfehlers abgelehnt. Die Umstellung nach der Bolognese-Reform hatte für mich erhebliche Konsequenzen. Ich wollte eigentlich Phänomenologie in den Fokus nehmen und mich darauf in Freiburg konzentrieren. Nun gut, immerhin hatte Köln ein Husserl-Archiv und ich besuchte dort auch die Oberseminare.
Bald aber entdeckte ich ein Oberseminar bei einem sehr alten Professor, der schon damals mit erheblichen, gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Professor Braun war damals um die 80 Jahre und hatte schon eine sehr steife Statur. Drehte er sich um, wenn ein Student zu spät in den Seminarraum kam, so grüßte er ihn sehr freundlich, allerdings nur, indem er steif seinen ganzen Oberkörper zu ihm drehte. Wie er damals trotz seiner Gebrechen noch selbstständig mit dem Auto zu den Seminaren kam, schärfte in mir den Gedanken: Philosophie-Professoren wollen bis ins Grab hinein unterrichten. Jedenfalls galt dies für Professor Braun. Kurzzeitig erblindet, ließ er sich meine Magisterarbeit vorlesen und ließ es sich auch nicht nehmen, meine Prüfungen abzunehmen. Akademisch war Professor Braun bereits von den einflussreichen Schnittstellen abgeschnitten, aber intellektuell fühlte ich mich sehr zu ihm hingezogen. Vor allem sein fortwährender Kontakt zu seinem guten Freund Apel machte seine Philosophie lebendig. Was also enthielt seine Philosophie?
Sprache, die zwar schon immer einen wichtigen Gegenstand der Philosophie darstellte, aber bis zum 20. Jahrhundert nie im Zentrum dieser Disziplin stand, hatte in Edmunds Braun Transzendentalpragmatik den höchsten Rang [1]. Sein Buch „Der Paradigmenwechsel in der Sprache“ war für mich das Zeugnis von dem umfassenden Verständnis, dass er sich über die Sprach- Philosophie erworben hatte. Seine 20-Jährige Forschung zu Aristoteles wendete sich spät, auch dank Apels Einfluss. Nun versuchte er, eine kantisch verstandene Sprachphilosophie als erste Wissenschaft zu etablieren und dabei auch den Verweis auf ein Transzendentales zu erhalten.
Immer wieder ging es in Professor Brauns Seminaren zur Sache. Die These, dass Sprache der unhintergehbare Kern unseres Denkens war, galt unter Kölnern streng analytischer Lehre als zu radikal. Einmal verließen zwei wütende Studenten das Seminar und riefen noch über den Flur, dass sein Seminar unmöglich wäre. Dennoch war mir Professor Brauns herausfordernde Art zutiefst sympathisch. Nein, er polemisierte nicht, sondern er erlaubte Studenten sich zu artikulieren, den Inhalten selbst nachzuspüren. Interaktivität und Diskurs prägten seine Seminare. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir zwar sehr kleinschrittig vorangingen, dennoch fühlte ich immer einen Kontakt zu den großen Themen der Philosophie, die er mit Sachverstand. doch zugleich verständlich aufschlüsseln konnte.
Für Professor Braun war die instrumentale Auffassung von Sprache, die Sprache nur als bloßes Mittel zur Beschreibung und Übertragung von Gedanken betrachtet, zurückzuweisen und ihre fundamentale Funktion in allen kognitiven Akten aufzuklären.[2] So heißt es etwa bei ihm: „Sprache begleitet, begründet, stützt und formt unser Denken und Handeln.“[3] Folglich konnte es für ihn kein sprachfreies Denken geben. Alles Gedachte vollzog sich in Sprache oder noch genauer im Diskurs.
Hier kam Edmung Braun bald schon auf die Spuren von Robert B. Brandom, der die Auffassung, die Sprache nicht ausschließlich über Repräsentationsleistungen definiert, sondern die fundamentale (Be-)Deutungsleistung der Sprache im semantisch-pragmatischen Vokabular ausbuchstabierte. Auch dies brachte mich schließlich auf die Spur nach Pittsburgh.
Das letzte und wichtigste Ziel der Transzendentalpragmatik war für Professor Braun jedoch, eine universale, normative Ethik zu begründen. Um jedoch überhaupt eine angemessene Diskussion eines sprachlichen Vernunftbegriffes in der Transzendentalpragmatik im Hinblick auf eine normative Ethik gewährleisten zu können, musste für ihn erst die Einsicht erfolgen, dass ein Sein-Sollen nur in der Regelhaftigkeit einer dialogischen Sprache fußen kann [4]. Denn über die Sprache als Bedingung der Möglichkeit und Gültigkeit der kognitiven Vollzüge hinaus ist diese zudem eine normative Institution, da für die Regeln des Sprachvollzuges konstitutive Voraussetzungen in einer Kommunikationsgemeinschaft anerkannt werden müssen. Insofern Äußerungen sinnvoll sein und Geltung beanspruchen sollen, ist diese Anerkennung notwendig. Diese stets anzuerkennenden Voraussetzungen sind also Bedingungen und somit immer Grundnormen für eine Kommunikationsgemeinschaft. Gesetzt sind damit diese Grundnormen durch die Institution der Sprache. Begründungen können so nur Begründungen sein, wenn Sprache immer als relatives Sinn– und universales Geltungsapriori besteht [5].Â
Sinn ohne Sprache gab es für Prof. Braun daher nicht. Die Sprache als unhintergehbare normative Instanz und für jedwede normative Ethik war für ihn die Grundlage einer normativen, universalen Ethik.
Die frühe Einsicht der Transzendentalpragmatiker, zunächst den semantisch-syntaktischen Sprachbegriff, der sich aus der Annahme einer ausschließlichen Repräsentationsfunktion der Sprache herleitet, pragmatisch zu integrieren, was grob gesagt die Berücksichtung einer Kommunikationsgemeinschaft bedeutet, hatte diese Strömung den gegenwärtigen, führenden Strömungen wie Robert Brandoms Expressivismus/ dem kognitiven Realismus bereits vorweggenommen.
In der Folge dieser Einsichten begann für Prof. Braun eine neue Schaffensperiode, die ihn zu immer neuen Artikeln und Büchern über eine Ethik auf Grundlage transzendentalpragmatischer Einsichten trieb. Ich erinnere mich, wie er selbst im hohen Alter und geplagt von verschiedenen Strahlentherapien an seinen letzten Büchern teilweise bis in die Morgenstunden hinein arbeitete. Müde, aber doch mit voller Energie und Diskussionsleidenschaft erschien er dann dennoch bei den Seminaren. Es war immer sein Ziel noch letzte Bücher auf den Weg zu bringen und so widmete er sich zunächst der Anthropologie und dann vermehrt ethischen Themen, wobei er vor allem die instrumental geleiteten Ethiken angriff und sich auch versuchte gegen die relativistischen Strömungen zu wehren. Ethik war für ihn begründet in einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft.
Leider entfielen seine letzten Seminare, weil der Gesundheitszustand, es ihm nicht mehr erlaubte, zum Seminar zu kommen. Leider verließ ich Köln bereits im Jahr 2011. Dennoch behalte ich Prof. Braun nicht als alten Professor in Erinnerung, sondern als jemanden, der auch im Alter und trotz Krankheit noch viel Lebensfreude und Inspiration für seine Studenten aufbrachte. Ich behalte ihn als einen der engagiertesten Professoren in Erinnerung, der immer auf der Höhe der Zeit seine Theorien entwickelte, was auch die rege Teilnahme vieler Studenten an seinen Oberseminaren bezeugte. Ich bin ihm dankbar für die Philosophie der Transzendentalpragmatik, die er für mich aufgeschlossen und entschlüsselt hat. Ich wünschte, ich hätte die Zeit, zu intensiverem Kontakt genutzt.
Quellen:
Braun, Edmund 1996: Der Paradigmenwechsel in der Sprachphilosophie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt
Braun, Edmund 2007: Sprachapriori in der Kunst. in Aufgang – Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik – Band 4 – Eros, Schlaf, Tod – Herausgegeben von José Sánchez de Murillo und Martin Thurner.
Braun, Edmund 12/2007: K.-O. Apel – Transzendentalpragmatik als normativ-semiotische Transformation der Transzendentalphilosophie. http://www.philosophieren.de/menu1/philosophePERSÖNLICHn/apel/apel.pdf
Kuhlmann, Wolfgang 1992: Sprachphilosophie – Hermeneutik – Ethik. Königshausen & Neumann
[1]Â Vgl. Kuhlmann 1992: 9
[2]Â Vgl. Braun 2007: 413
[3]Â Braun 2007: 413
[4]Â Vgl. Braun 12/2007: 3
[5]Â Vgl. Braun 12/20007: 8
[6]Â Vgl. Braun 12/2007: 8
Hallo,
ich habe vor sehr vielen Jahren bei Edmund Braun studiert und bin nach wie vor von ihm beeindruckt.
Ich bin sowohl zu seinen Uni-Seminaren als auch zu seien Seminaren an der VHS gegangen. Ich fand es gut, dass er auch dort die Philosophie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Gibt es Promotionen über sein Werk?
Viele Grüße
R.