Norman Schultz: Was halten Sie von Thomas von Aquin?
Alfred Eisleben: Aquin ist ein Systematisierer, dessen Wortgebrauch klar ist wie Wasser. Das Gebäude, dass er aus Worten errichtet hat, besitzt eine äußergewöhnliche Architektur. Sie erscheint mir so unglaublich stabil, so durchsichtig und verständlich. Darüber hinaus ist es auch nicht so, dass Aquin nur seine eigenen Argumente vortragen würde, sondern er hat jeder Position eine gewisse Plausibilität zugerechnet, sich nicht gegen blasse Puppen verteidigt, sondern die Gegenpositionen stets als bestmöglichen Gegner aufgebaut. Es ist schade, dass wir im Unterricht diesem Denken keinen Rang mehr einordnen. Wenn wir in der Schule noch nach den mittelalterlichen Riten verfahren würden, wo am Nachmittag sich die Studierenden trafen, um Argumente zu konstruieren, die sie dann später mit dem Professor zusammen vortrugen, dann würden wir dialektisches Denken trainieren und endlich wesentliche Prozesse unserer Geschichte verstehen.
Norman Schultz: Glauben Sie, dass der Schulunterricht von diesem Denken profitieren würde?
Alfred Eisleben: Ich wüsste nicht, warum Schüler dazu nicht in der Lage sein sollte. Jedes Stückchen Denken enthält immer nur wieder den selben deduktiven oder induktiven Schluss. Das hat wenig mit Intelligenz zu tun, sondern eher etwas mit Kondition. Der Mensch hat nicht Häuser gebaut, weil er besonders intelligent war, sondern auch weil er erkannte, was tägliche Arbeit bedeutet. Bei Schülern mag Konzentration noch nicht herhalten. Da kenne ich mich zu wenig aus, aber die Philosophie bewahrt in sich kein Geheimnis, das anderen nicht zugänglich wäre. Sie setzt sich zusammen aus kritischem Denken und langfristigem Atem. Dabei geht es natürlich um Systematizität wie Sie ja kürzlich auch in Ihrer Dissertation zeigen. Entgegen also mystischen Positionen, dass uns nachts das Wissen in den Schoss fällt, formuliert auch Thomas seine Thesen.
Norman Schultz: Dann würde ich sagen, beginnen wir uns die Stücke der Questiones zu erarbeiten: Wissen wir dass es einen Gott gibt?
Alfred Eisleben: Nun, es gab zu Zeiten von Thomas viele, die glaubten, dass ein verbohrter Atheist nur geistig verwirrt ist. Gott war ja nicht nur ein Mann mit weißem Bart, sondern war viel eher als der systematische Grund zu bezeichnen, warum wir Wahrheit und das Gute haben. Für viele ist das heute nicht mehr verständlich. Deswegen sollten wir uns zunächst klar sein, dass wir keine Kausalität haben, ohne indirekt den Freiheitsbegriff anzunehmen. Der Freiheitsbegriff ist dann schon sehr nah, an dem Gottverständnis von damals.
Alfred Eisleben: Ja, das ist richtig. Das ist das Grundgesetz unseres kausalen Verständnisses von der Welt. Stellten wir uns eine Sache vor, die keinen Grund hätte, dann wäre es ein Effekt, der in der Welt, wie ein Wunder auftreten würde. Nein, wir wollen schon Begründung haben, zumindest in unserem kausal-deterministischen Modell. Der Determinismus macht aber einen entscheidenden Fehler.
Norman Schultz: Sie meinen, dass er nicht erkennt, dass wir für Kausalität auch immer Freiheit annehmen müssen?
Alfred Eisleben: Ich behaupte nicht, dass es beide gibt, aber wenn ich „Kausalität“ sage, so sage ich interessanter Weise auch „Freiheit“.
Norman Schultz: Lassen sie uns das näher betrachten!Alfred Eisleben: Es gibt zwei Möglichkeiten, das Kausalitätsmodel auf die Spitze zu treiben. Beginnen wir mit der einfachen Variante.
Erstens) Nehmen wir an, alles was ist, hat einen Grund, so gehen wir in die Vergangenheit zurück. Wenn wir nun aber sagen, dass das Universum ja begonnen haben muss, so würden wir dafür einen Grund annehmen. Nun kann es aber in der Folge nicht sein, dass der Grund für das Universum einen Grund hatte, denn dann wäre das ja eine von unserem Universum verschiedene Kausalitätskette. Daher nehmen wir an, dass dieser erste Grund ein besonderer Grund war, der selbst keinen Grund benötigte. Schon jetzt aber verletzen wir unserer Kausalitätsgesetz, dass wir ja zuvor für unser Realiätsverständnis zu Grund gelegt haben, nämlich dass alles einen Grund hat. Wir haben nun einen besonderen Grund und diesen besonderen Grund können wir auch als Grund ohne Grund bezeichnen, was unserem Freiheitsverständnis sehr nah kommt. Freiheit ist nämlich etwas, dass ohne Grund passiert. Das ist aber erstmal nicht so wichtig, wichtiger ist, dass wir unseren Determinismus nicht durchhalten.
Norman Schultz: Wenn das Universum also einen ersten Grund hätte, dann müsste dies ein freier Grund sein, dass heißt, es gäbe für diesen Grund keine weiteren Gründe. Wir könnten doch aber sagen, dass es das Universum schon ewig gab.
Alfred Eisleben: Ja, das ist richtig und hier steigen wir nun wirklich tief in die Metaphysik ein. Nehmen wir ein unendliches Universum an, so scheint unserer Prinzip der Kausalität gelten zu können. Es erscheint so. Dies ist der zweite Fall, den ich unterscheiden wollen. Aber machen wir folgendes Gedankenexperiment: Stellen wir uns einen Zug mit unendlichen Waggons vor. Sagen wir er wird getrieben von einer Lokomotive. Diese Lokomotive gibt es natürlich nicht, weil wir ja unendlich in die Zeit zurück gehen dürfen. Nun stehen wir also vor den Waggons und dann, sie beginnen sich zu bewegen. Was aber ist der Grund dafür? Wir wissen, dass jeder Waggon von seinem vorherigen Waggon angetrieben wird und so gehen wir auch unendlich in die Zeit zurück.
Norman Schultz: Dann aber gibt es keinen Grund, warum sich die Waggons überhaupt bewegen. Kommen wir also zum unbewegten Beweger?
Alfred Eisleben: Lassen wir das hier mit dem unbewegten Beweger erstmal. Die meisten Menschen lehnen ja die Einführung solcher Begriffe prinzipiell ab, ohne jedoch zu verstehen, welche konzeptionelle Notwendigkeit dahinter steckt. Bei den Waggons allerdings ist es so, dass auch wenn wir keinen ersten Grund annehmen, so sagen wir, dass jeder Waggon durch den Waggon zuvor bewegt wird. Die Analogie zu unserer Kausalität ist klar. Wir denken Gleiches bei einer unendlichen Kett von Gründen. Jeder Grund hat einen spezifischen anderen Grund, der ihm vorausgeht. Das vorausgehende Grund heißt dann übrigens akzidentieller Grund. Es ist akzidentiell, weil er nur zufällig diesen Abschnitt der Bewegung erklärt, aber nicht, warum sich das alles bewegt.
Norman Schultz: Nun, dass mit akzidentiellen Gründen ist hier womöglich verwirrend, aber ich gehe davon aus, dass sie auf einen notwendigen Grund, einen Grund per se schlussfolgern wollen?
Alfred Eisleben: Ja, das ist richtig. Ich meine Waggons, die sich unendlich anschieben? Wir wollen doch dann wissen, warum bewegt sich das Ganze überhaupt? Genauso verhält es sich bei den Gründen. Es kann zwar ewig akzidentielle Gründe geben, aber wir möchten doch wissen, warum sich das Ganze überhaupt bewegt. In anderen Worten ist das auch die berühmte Frage: Warum ist eigentlich Sein und nicht vielmehr Nichts? Wir stellen die Frage, welchen Grund die Annahme, dass alles was ist, einen Grund hat. Um dieses zu erklären, müssen wir nun auch einen besonderen Grund annehmen, der selbst keinen Grund hat.
Norman Schultz: Das verstehe ich nicht: Warum können wir hier nicht sagen, dass auch die Prinzipien unendliche Gründe haben?
Alfred Eisleben: Weil wir dann auf gleiche Problem stoßen würden, wir hätten in alle Richtungen unendliche Waggons. Wir würden aber nie wissen, warum sich die Waggons überhaupt bewegen. Was also ist der Grund für Bewegungen oder besser: Was ist der Grund für Gründe?Norman Schultz: Das heißt also dieser besondere Grund, wäre auch wieder ein Grund, der selbst keinen Grund haben könnte und das bezeichneten sie ja zuvor als Freiheit.
Alfred Eisleben: Das ist richtig. Und da wir nun beide Positionen, nämlich dass die Kette der Gründe einen ersten Grund hat und dass die Kette der akzidentiellen Gründe unendlich ist, untersucht haben, so sehen wir, dass wenn wir den Begriff der Kausalität denken, einen bestimmten Begriff der Freiheit immer mitdenken.
Norman Schultz: Das heißt also, es kann keinen konsequenten Deterministen geben.
Alfred Eisleben: Ja, ich befürchte, dass ist der Fall. Der Determinismus erscheint logisch nicht ganz aufzugehen. Stattdessen müssen wir zwei Modelle für Weltbeschreibung annehmen: Erstens, das Prinzip des Grundes, dass alles, was ist, einen Grund hat (Kausalität) und zweitens, einen besonderen Grund, der selbst keinen Grund hat, Freiheit.
Norman Schultz: Freiheit und Kausalität widersprechen sich aber oder nicht?
Alfred Eisleben: Doch sie widersprechen sich. Deswegen möchte ich nicht sagen, dass sie beide absolute Realität sind. Konzeptionell lösen wir dieses durch den Gottesbegriff, indem wir sagen, dass Gott die Idee aller Gegenstände des Denkens überhaupt ist. Hiermit sind wir dann in der systematischen Auffassung von Welt, wo die Idee Gottes, keinen anderen Grund hat, als unser widersprüchliches Denken als dennoch möglich zu charakterisieren. Wir können uns selbst als determinierter Körper sehen oder als freier Geist, der einen Leib hat. Dieser Widerspruch lässt sich in einer höheren Idee vielleicht lösen, einer Idee, die weder frei noch kausal ist, sondern als transzendentaler Grund angenommen wird.
Norman Schultz: Da mischen sie jetzt aber Kants Kritik der Urteilskraft mit rein.
Alfred Eisleben: Das stimmt bei Thomas von Aquinas verhält sich das ein bisschen anders. Mit all dem Gesagten wollte ich jedoch nur darauf verweisen, dass Aquinas den Gottesbegriff in einem gewissen Sinne systematischer auffasst, als die meisten Atheisten es sich vorstellen. Und diese Systematik müssen wir zunächst akzeptieren.
Norman Schultz: Das setzen wir, wann anders fort.
Vielen Dank für das Gespräch
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Norman Schultz
Pittsburgh, Mai 2015
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