Eines nachts irgendwo in Afrika steht ein Krankenwagenfahrer am Fenster seines Vehikels und beurteilt durch das Fenster hindurch den Zustand seiner Patientin. Sie übergibt sich, doch die Krankenhäuser sind voll, haben keine Kapazitäten mehr, die Ambulanz muss sie zurückbringen und der Krankenwagen wird danach desinfiziert.
Eine Krankheit schlägt wie das Schicksal in den Körper ein. Eine unbequeme Angst breitet sich in der Unsichtbarkeit aus; auf den Straßen liegen die Ebola-Toten, das Individuum in der Menge, die Menge ist aufgebracht (By Photo Credit: Content Providers(s): CDC/ Ethleen Lloyd [Public domain], via Wikimedia Commons).
Der Oktober erzählt von diesen Ängsten des Individuums, die sich in den Strömen der Massen materialisieren. Jene Angst materialisiert sich in Erzählungen und hat wenig Zeit auf die überkomplexe Wirklichkeit zu achten. Ebola ist nur einer von vielen Katalysatoren, die Bedrohungen hervorbringen. Hierzu gehören auch die Religionen, Faschisten und Kriege in der Ukraine. Alle sind nur zur Hälfte Wirklichkeit.
Irgendwo in Afrika stirbt eine 17-Jährige am nächsten Morgen zu Hause, allein. Sie wäre womöglich ohnehin gestorben. So verdirbt uns unser zynischer Verstand des Mitleid, aber dennoch sagt eine Stimme in uns: Sie starb allein.http://www.nytimes.com/video/world/africa/100000003161313/fighting-ebola-outbreak-street-by-street.html
Die aufgebrachte Menge ist nur halb von der Toten infiziert. Die Krankheit verschont sie, die Form der Krankheit bleibt aber und diese Form in uns, sie spricht von einer existentiellen Einsamkeit in uns.
Der falsche Begriff von der Welt, führt zu falschen Theorien und allabendlich am Medienlagerfeuer können wir den Austausch dieser Dinge beobachten, die irgendwo zwischen Wahrheit und Falschheit liegen. Was passierte also im Oktober in der Meinungsmaschine?
Meine Brille heißt Zeit, FAZ oder allgemein das Internet. Ich lese nicht alle Buchstaben mit dieser Brille, die Konflikte berühren mich wenig und meine Kurzsichtigkeit kümmert mich kaum. Aber mein Internet ist nicht nur eine Brille, sondern auch ein zweites Auge und ein zweiter Verstand.
Derweil schafft es Nigeria die Krankheit einzudämmen (http://www.zeit.de/wissen/2014-10/ebola-nigeria-who). Während der Westen zögert kommt Hilfe aus Kuba, das als einziges Land im Stande ist konsequent Katastrophenunterstützung zu gewährleisten (http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Panorama/d/5582400/kuba-trumpft-im-kampf-gegen-ebola-auf.html). Die Welt kennt noch nicht ihre Solidarität und Amerika wälzt sich in Fearbola http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-10/ebola-hysterie-usa. Was als Krankheit begannt, wuchert als uramerikanische Angst. Die kleinen Feindseligkeiten im Alltag schlagen schließlich in materialisierten Rassismus um:
Ein Pfarrer war in einem afrikanischen Land. Nicht mit Ebola infiziert, muss er auf Druck der Einwohner seiner Gemeinde in Quarantäne. Andernorts bringen Eltern ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Schwarze sind verdächtig. Der Rassismus bricht dabei als die schlimmere, eigentliche Krankheit aus. Rassismus, ein kulturmemetischer Defekt in der Entwicklung der menschlichen Geschichte. Rassismus ist eine Allergie, nur halb-real kämpfen wir täglich mit imaginären Feinden. http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-10/ebola-hysterie-usa
Wie sich die Ängste vor Ebola real in Form von Elternschaften manifestieren, in nutzlosen Flughafenkontrollen und missgelaunten Flughafenpolizisten, als auch in einem generellen Verdacht gegenüber Menschen aus Afrika, in Rassismus, so quillt in Deutschland Faschismus aus derselben entmaterialisierten Form.
Demokratische Gesellschaften, die nicht mehr normativ verpflichten, haben zwei Feinde: zum einen, die eigene Leere, weil alle begrenzenden Normen verschwinden sollen und weil das Individuum frei und noch freier sein will und zum zweiten normative Gesellschaften, die die Leere mit Doktrinen ersetzen und die errungene Freiheit des Individuums bedrohen.
Der Faschismus findet seine Bündelung mitten in der Kölner Innenstadt und die Polizei geleitet hilflos die Demonstranten zu den Zügen. Sie, die Polizisten, waren schlicht zu wenig.
Die Immunssysteme der Gesellschaft sollen greifen, andernorts warnen Innenminister vor Wiederholung und mobilisieren die Medien.
Ich schaue verwundert auf die Bilder von den plötzlich aus der Provinz hervorgestiegenen Faschisten: Junge Männer, die als wirkliches Leben eine Form von Gewalt begreifen? Welche geschichtliche Idee kommt in ihnen ans Tageslicht? Was wird in der neuen Dörflichkeit des Internets ausgebrütet? Die Szenerie ist surreal, denn ich schaue in die Gesichter und sehe mich selbst.
Mit weiteren Ausschreitungen ist zu rechnen http://www.zeit.de/politik/2014-10/islamischer-staat-salafisten-rechtsextremismus-hooligans-gewalt-ausweitung-verfassungsschutz.
Gleichzeitig rekrutiert die IS mehr und mehr Salafisten. Die Angstströme kanalisieren sich als gesellschaftliche Formen der Gewalt, die uns mit einer Geschichte, einer großen Erzählung verbinden. Rechtsparteien und Terrororganisationen reorganisieren dabei die individuelle Bedeutungslosigkeit des demokratisch verlorenen Einzelnen, der in metaphysischer Obdachlosigkeit keinen anderen Sinn mehr findet. Sie reorganisieren unsere Einsamkeit in einer großen Erzählung. Terrororganisationen kompensieren den Wertverlust multikultureller Gesellschaften, wo jede Lebensweise gleich viel Wert besitzt, denn ohne real erkannte Differenzen werden alle Werte bedeutungslos. Das Leben, das wir führen wollen ist gleich jedem anderen Leben. Hier greift der Terrorismus als bedeutungsstiftend ein.
Theoretischer Rekurs: Wenn das Gute und Böse symmetrisch sind, dann kann ich das Gute als Böse und das Böse als Gut rekonstruieren, ebenso wie ich auch Warm als Abwesenheit von Kaltem oder Kalt als Abwesenheit vom Warmen bestimme. Terrororganisationen versprechen größtmögliche Wertasymmetrie. Es gibt nur eines, das gut ist.
Nach der Orientierungslosigkeit kommt in logischer Folge das Programm der Diktatur, aber dazu gleich mehr.
Milizen und ihr Geld
Andernorts verdienen Terrororganisation an entmoralisierten Handelsstrukturen. Das Produkt, Öl, weist keine Gebrauchsspuren auf und ebenso wie Geld kennt es keine Herkunft für den Verwender. Geld macht unsere Arbeit abstrakt und während der eine noch glaubt, dass das Legale auch gerecht wäre, ist der andere auch bereits dabei die Legalität in der Entfremdung des Menschen auszureizen. Mit dem Spielgeld kauft er Spielleben. Die Abstraktheit der Demokratie sieht ihre Resultate nicht mehr.
In anderen Worten: Der Fernseher in unserem Haus zeigt seinen Bezug zu Rohstoffmienen in Afrika nur, wenn wir den richtigen Sender einschalten.
So wie das Geld abstrakt ist, so können auch 1,5 Milliarden Dollar auf dem Konto des Terrors liegen. Eine digitale Zahl und damit war jeder Dollar davon auch in unserer Hand gewesen, denn im Maschinenraum der Zentralbanken sind alle Dollars dieselben. http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-10/islamischer-staat-geld-finanzierung-vermoegen-oel
Diesmal verläuft die Militantisierung der Welt parallel zur Relativierung der Werte und Entmaterialisierung des Geldes. Geld ist auf dem Weg zum vollkommen entmaterialisierten Tauschmittel zu geraten, das nur noch als digitales Produkt existiert. Doch wer frei von Substanz tauscht, der tauscht auch frei von substantieller Moral.
Der ethische Relativismus, der den Handel erlaubt, spielt auf der anderen Seite dem Moralvolk in die Hände. Der Tugendterror der IS spielt das Gegenprogramm zur entrückten Sinnlosigkeit der Europäer. Für jene substantiellen Wahrheiten der IS müssen dann Menschen sterben. Die Freiheit der Demokratie ruft in die Leere der Menschen und ein Ruf nach Tyrannei ist sein Echo (Vgl. Platon: Politea, Buch VIII). Demokratie erlaubt die Freiheit des Tausches und Platon wusste, dass die Demokratie aus diesem Grund eine minder gute Form der Herrschaft war.
Schon weiß Putin, dass Gayropa keine Stabilität mehr in sich erzeugen kann, denn hier streiten sich die Verschwörungstheoretiker eben auch frei von den Restriktionen der Logik.
Aussteiger Philosophie:
Die Philosophie steigt aus, sieht von außen, bleibt unberührt. Strenggenommen, heißt es, ist dieses Aussteigen in Deutschland nicht verboten. Wir können in die Wälder zurück, solange wir kein Zelt oder eine Hütte errichten (http://www.taz.de/Aussteiger-in-Deutschland/!147677/).
Aussteigen ist Menschheitsphantasie. Wir wollen wieder fern sein von den Maschinen, die als Staaten unsere Geschäfte verwaltbar machen. Aussteigen aus dem Zug der Moderne, so als wäre dieses Aussteigen nicht bereits eine erprobte Technik von verlorenen Seelen.
Doch die Phantasie der Aussteiger steigt dabei über die Horizonte der logisch gültigen Schlüsse oder verliert sich in wilden Induktionen. Wir glauben zu sehr, wir stiegen in das Ideal der Freiheit aus.
Verlorene SeelenDerweil errichtet die Familiensynode des Papstes den Anschein von Wandel, denn auch die einst ausgestiegenen, verlorenen Seelen sollen die Kirchen tragen. Wir feiern also, dass Menschen über Sexualmoral nachdenken.
Das Resultat ist ernüchternd: Homosexuelle dürfen in der Kirche weiterhin mit Feindlichkeit begrüßt werden. Wer weiß also, was die Autoren der FAZ meinen, wenn sie schreiben, dass die bleierne Zeit vorbei ist. Der Papst verabschiedet seine Kardinäle und sagt brav „Danke für das nette Gespräch!“ http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/familiensynode-im-vatikan-die-bleierne-zeit-ist-zu-ende-13217711.html
Liebe FAZ, eine Konferenz feiert sich als offen, aber die vollzogene Entscheidung bedeutet: die Kirche bleibt eine geschlossene Gesellschaft.
Vorausschau November
Was aber bleibt für den nächsten Monat? Das Demokratisierungsbestreben der westlichen Welt bedeutet selbstverständlich auch eine Ausbreitung unterschiedlich organisierter Oligarchien, die sich unter dem Denkmantel der Freiheit materialisieren können. Schwach verbundene Gebilde von Oligarchen, Monopolisten, Interessenten, Aktionären, kaum identifizierbare Netze aus Kapital bilden eine Bewegung innerhalb der Staaten. Wir sehen den Fluss, aber nicht die Moleküle und schon überhaupt nicht ihre Vernetzung.
Russland ist dabei kein demokratisches Land, ebenso wenig wie die entmoralisierten Bewegungen von Geld demokratisch sind. Wenn Ken Jebsen daher an dieser Stelle fordert, dass wir als Deutsche Beziehungen zu den USA unterbinden sollen und stattdessen mit dem Iran oder Russland Geschäfte machen sollten, dann ist dies naiv. Einerseits, weil diese Länder nun auch keine besonders gute Bilanz aufweisen. Dies ist offensichtlich, aber andererseits auch, weil Gesellschaften keine starken Verbünde sind, die sich nach eindeutiger Kausalität organisieren. Gesellschaften sind Verbünde, die aufgrund von schwachen Verknüpfungen bestehen. Doch auch diese schwachen Verknüpfungen sind ambivalent.
Notiz: Was sind schwache Verbünde: Doch wo ich mich mit Nachbarn zum Spieleabend verarbrede, dort sieht der Kausalfetischist, eine festes Band zwischen Verschwörern gespannt, aber in Wirklichkeit haben wir wenig Brüder mit denen wir das Blut EINER Gesinnung teilen.
Der freie Handel ist in diesen schwachen Verbünden die Option derer, die unpolitisch bleiben wollen und doch ist dies ihre Politik. Freies Geld ist unmoralisches Geld und es ist gerade diese Freiheitspolitik, die heute multikulturelle Gesellschaften bestimmt. Die schwache Verbindung von unserem Geldtausch zum Terror ist was der Terror ist.
Das restliche Geld, das Geld, das sich nicht mit der Freiheit verwebt, ist bisher das Geld von Diktatoren, doch ist es an den Grenzen der Systeme das gleiche Geld. Geld trennt und verbindet schwache Verbünde. Es ist das Symbol von Nichtkausalität, denn wenn wir einen Fernseher kaufen, haben wir damit nicht direkt kausal die Sklavenmienen in Afrika bedingt.
Wie geht es also weiter in den nächsten Monaten: Nun die einen werden weiter ihre Verschwörungstheorien bauen und auf starke Kausalität setzen, Kommentar-spalten füllen, die anderen werden unpolitisch bleiben und das schwache System als dieses System belassen.
Es ist eine natürliche Konsequenz, dass Menschen, die auf starke Kausalität setzen, eine ebenso starke Wachablösung des Systems fordern, während die Schwachen das System sind.
Nun aber welche Perspektiven sind hier zu erkennen? Spielen wir also mit den Verschwörungstheorien: Russlands Drohungen sind dabei „natürlich“ direkte Konsequenzen der NATO-Handlungen, denn die NATO ist Feind der Bevölkerung. Die NATO das sind Verschwörer, die den Feind im Menschen sehen.
Das meiste dieser beiden Sätze ist Zwangs-Ironie, eben so wie Einfachheit immer Ironie sein muss. Dennoch eine Hegelianische Wahrheit der Dialektik von Erhalt und Zerfall kommt darin vor. Gleich aber, ob Russland böse oder gut ist, gleich ob die NATO ein dunkler Schurke oder Heilsbringer ist, Menschen, die sich in unserer Demokratie von Propaganda Luft verschaffen, verstricken sich gerne in der nächsten Propaganda.
Deswegen testet Russland nicht den Westen militärisch, sondern Russland testet wie die NATO  Russland testet. Klar, aber, was wenn ich sage die NATO testet wie Russland die NATO testet und beide testen, was der andere testet, wenn sie testen, was getestet werden muss. Diese Verstrickungen ergeben das Textil unserer Wirklichkeit. Die Strippenzieher verheddern sich im Gewebe von zu vielen, schwachen Verbünden. http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-10/russland-nato-luftraum-flugzeug-provokation
Diese Verstrickungen nenne ich den Metabolismus von schwachen Gesellschaften. Ein anderer Metabolismus ist ihre Spekulation.
Weitere Quellen:Â
Impfstoff für Ebola? Mit interessanter Karte zur Verbreitung von Ebola: http://www.zeit.de/wissen/2014-10/ebola-kanada-impfstoff-who