Toussaint, D. Foucaultsches Pendel cc_by-sa 2.0 Quelle: wikicommons
Das Foucaultsche Pendel stellt ein geniales Experiment dar, bei dem die Scheinkräfte der Erdrotation an jedem Ort der Erde außerhalb des Äquators dargestellt werden können. Die Abweichung der Pendelbewegung weist auf die Erdrotation hin.
 Anders als dieses Experiment unseren Wissensstand vermehrt hat, ist der Wert anderer Wissenschaften fraglich. Gerade die Vermehrung von Verschwörungstheorien, da jeder ja mittlerweile das Internet entdeckt, um seine empirisch ungesicherten Theorien zu verbreiten. Die Spitze der Esoterik bildet dabei wohl die neue Medizin. Wer viel, viel, nein ganz viel Zeit hat, kann sich das ja antun:
Es gibt ja auch Menschen, die Oliver Stone Verfilmung glauben oder noch besser glauben Dan Browns „Da Vinci Code“ sei ein Sachbuch. Daher schrieb Umberto Eco auch eine Persiflage auf dieses postmoderne Phänomen der zerstückelten Wahrheiten. In diesem Sinne ist Eco der Dan Brown für die Menschen, die noch ein Stückchen weiter hinter die Kulissen blicken wollen. Eine Theorie kann nämlich jeder erfinden, wichtig ist es jedoch, wie wir diese testen. Da die meisten Menschen diesen Sachverhalt nicht wissen, glauben sie so zum Beispiel auch immer noch das Eskimos 3 Milliarden Wörter für Schnee haben. Ist ja auch plausibel, die hocken ja den ganzen Tag im Schnee. Das solche Thesen aber durch einfach Beobachtung in anderen Fällen durch Beobachtung und statistische Auswertung widerlegt werden können, bezeichnen andere als westlicher Wissenschaftsaberglaube. Worin allerdings in Beobachtung der Ereignisse ein Mythos bestehen soll, ist mir unklar. Natürlich behaupte ich, dass wir schon aus diesem Grund, dass wir Theorien testen sollten, als erstes über Erkenntnistheorie nachdenken müssen. Es geht nämlich nicht darum, Wissen sinnlos zu vermehren, sondern darum Wissen in die gegenwärtig offenen Horizonte sinnvoll zu integrieren. Ecos Roman bietet eine wundervolle Stelle zu der sinnlosen Wissensvermehrung, die ich einst noch abtippte, um mir das Zehnfingersystem beizubringen. Leider weiß ich nicht, ob ich diese hier komplett einspeisen darf, deswegen werde ich sie nacherzählen. Super ich weiß :)
In Ecos Roman geht es darum, dass die Protagonisten Verschwörungstheorien erfinden, die schließlich aus der Phantasterei heraus nicht mehr als wahr oder falsch entschlüsselt werden können. Der Eintritt in diese schizophräne Welt, lässt letztlich die Wirklichkeit verschwimmen. Hier ein Teil, was die Protagonisten nebenbei an Wissen sinnlos vermehren:
(…)
„Hör mal, Jacopo, mir ist noch was Gutes eingefallen: Zigeunerische Urbanistik,“
„Schön“, sagte Belbo bewundernd. „Ich dachte gerade an aztekische Reitkunst.“
„Wunderbar. Aber tust du die jetzt in die Potiosektion oder zu den Adynata?“
„Mal sehen“, sagte Belbo, kramte in einer Schublade und zog ein paar Blätter heraus. „Die Potiosektion…“ Er blickte auf und sah meine Neugier. „Die Potiosektion ist, wie der Name sagt, die Kunst des Suppenschneidens. Aber nicht doch, wo denkst du hin“, wandte er sich an Diotallevi, „die Potiosektion ist doch keine Abteilung, sondern ein Fach, wie die Mechanische Avunculogration und die Pilokatabase, beide in der Abteilung Tetrapilotomie.“
           „Was ist Tetralo…“, fragte ich zögernd.
„Die Kunst, ein Haar in vier Teile zu spalten. Diese Abteilung enthält die Lehre unnützer Techniken, zum Beispiel die mechanische Avunculogration, die lehrt die Konstruktion von Maschinen zur Tanten und Onkelbeglückwünschung. Wir schwanken noch, ob wir auch die Pilokatabase in diese Abteilung einordnen sollen, das ist die Kunst um ein Haar zu entwischen, was ja nicht ganz unnütz ist, oder?“
Die Sache macht Spaß. Die Fremdwortklauberei und Hausiererei kann tatsächlich die Hormone wallen lassen. Und ein bisschen Hormonie muss schon sei. Natürlich und ich bitte darum, können wir diesen Sachverhalt auch zahllosen Intellektuellen Nerdbebrillten unterstellen (*sichpeinlichberührtdienerdbrillezurechtrückend*). Mit Fremdwörtern zu hantieren ist aber keine Wissenschaft. Dementsprechend geht es also weiter:
„Ich bitte Sie, sagen sie mir doch endlich, wovon sie da eigentlich reden!“ flehte ich.
„Ganz einfach, Diotallevi und ich projektieren eine Reform des Wissens. Wir planen eine Fakultät der vergleichenden Irrelevanz, in der man unnütze oder unmögliche Fächer studieren kann. Die Fakultät zielt auf die Reproduktion von Gelehrten mit der Fähigkeit, die Anzahl der irrelevanten Disziplinen ad infinitum zu steigern..“
Und haben wir nicht dieses Gefühl, der Steigerung irrelevanten Wissens, wenn wir alte Sprachen studieren müssen, um einen Doktortitel zu erlangen? Ach, die Universitäten vermehren unkontrolliert nutzloses Wissen. Ich habe ja nichts gegen alte Sprachen, habe ja selbst viele alte Sprachen studiert, kann aber aus meiner Lebenserfahrung urteilen, dass ich diese Zeit lieber für moderne Fremdsprachen investiert hätte. 10 Gründe um Latein zu lernen lalala… blablabla…, argumentieren dann die Lehrer, die ja sonst keine Berechtigung hätten, Latein zu unterrichten. Vor allem dass Latein den Verstand schule, rückt dabei in den Fordergrung. So kognitiv anspruchsvoll ist Latein nun aber auch nicht, denn jede Sprache kann an die Grenze des Verstehbaren und Anspruchsvollen rücken. Und dann gibt es mit Sicherheit auch ein paar Genies ihrer persönlichen Privatsprachen, aber wen interessiert das? Wen interessiert eine Sprache, die nur einer spricht? Wir können dann doch nicht von unseren Kindern verlangen, dass sie Latein aus Lust am Spaß lernen. Ein paar Gründe, warum sie jetzt Latein und nicht Spanisch lernen, sollten schon sein. Da muss ich aber sagen, dass diese Gründe für moderne Fremdsprachen oftmals stärker sind.
Es bliebe uns noch zu sagen, dass Latein wie Kunst und Kultur keinen Sinn haben muss. Gut, alles Unnütze ist dann also Kunst? Nein, jeder der sich mit alten Sprachen beschäftigen will, sollte dafür auch die Möglichkeit haben, aber diese gesellschaftlich zu erzwingen, so wie viele Schulen jetzt wieder Latein vermehrt anbieten, halte ich für unnötig. Bildung ist nicht Latein. Und Latein bringt uns mehr Zeitverschwendung als Nutzen. Eco schreibt also weiter über dieses sinnlos vermehrbare Wissen:
„Und wie viele haben sie schon?“
„Vorläufig Vier, aber die könnten bereits alles denkbare Wissen enthalten. Die Abteilung Tetrapilotomie hat propädeutische Funktion, sie schärft den Sinn für die Irrelevanz. Eine wichtige Abteilung ist die der Adynata oder Impossibila. Zum Beispiel Zigeunerische Urbanistik oder Aztekische Reitkunst… Das Wesen der Disziplin ist das Verständnis der tieferen Gründe ihrer Irrelevanz und, in der Abteilung Adynata, auch ihrer Unmöglichkeit.
Hier haben wir einstweilen Morphematik des Morsens, Geschichte der antarktischen Agrikultur, der Montessorieschen Dokimasie, Assyrisch- Babylonische Philatelie, Technologie des Rades in den präkolombianischen Reichen, Ikonologie der Blindenschrift, Phonetik des Stummfilms…“
„Was halten sie von einer Psychologie der Massen in der Sahara?“
„gut“ sagte Belbo.
„Gut“ bekräftigte Diotallevi mit Überzeugung. „Sie müssten mitarbeiten. Der Junge hat Talent was, Jacopa?“
„Ja habe ich gleich gemerkt. Gestern Abend hat er mit großem Scharfsinn dumme Gedankengänge ersonnen. Aber machen wir weiter, wo das Projekt ihn ja scheint’s interessiert. Was hatten wir noch gleich in die Abteilung Oxymoristik getan? Ich finde den Zettel nicht mehr“
           Diotallevi zog ein Papier aus der Tasche und fixierte mich mit sentenziöser Sympathie. „ In der Oxymoristik geht es wie der Name sagt, um die Selbstwidersprüchlichkeit der Disziplin. Deswegen gehört meines Erachtens die Zigeunerische Urbanistik hierhin…“
           „nein“ widersprach Belbo, „nur wenn es Nomadische Urbanistik wäre. Die Adynata betreffen empirische Unmöglichkeiten, die Oxymoristik befasst sich mit begrifflichen Widersprüchen.“
           „Na schauen wir mal. Was hatten wir denn in die Oxymoristik getan? Hier: Institutionen der Revolution, Parmenideische Dynamik, Heraklitische Statik, Spartanische Sybaritik, Institutionen der Volksoligarchie, Geschichte der Innovationen der Traditionen, Tautologische Dialektik, Boolesche Eristik…“
           Jetzt fühlte ich mich herausgefordert: Darf ich eine Grammatik der Devianz anregen?
           „Schön! Schön!“ riefen beide und machten sich eifrig ans Schreiben.
Ich behaupte also, dass es in jeder dieser Disziplin Genies, Meister ihres Fachs geben mag, aber wir brauchen sie nicht alle. Was also ist ein modernes Genie. Die Relevanz des Unsinns erscheint mir eher zur Belustigung da zu sein, aber wir sollten schon über die Berechtigung unserer Forschungen nachdenken können und nicht ständig behaupten, wir brauchen eine freie Wissenschaft, denn die Gelder und die Zeit sind nicht unendlich.
Könnte es sein, dass wir den Geniebegriff auch deswegen verabschiedet haben, weil die alten Genies sich teils in diese Sinnlosigkeit verirrt haben? Wir brauchen eine Wissenschaft, die ständig ihren Bezug zur Praxis wahrt! Gut, das ist radikal formuliert, aber ohne Rechtfertigungsdruck werden Forschungsgelder verschwendet und diese zu verschwenden, können wir uns angesichts der gesellschaftlichen Probleme noch nicht leisten.